Flandry 5: Krieger aus dem Nirgendwo
ich ihn mit Fragen bombardiere. Haben Sie den Rekorder, nach dem ich gefragt habe?«
»Hier.« Kit hob ihn auf. Sie sah sehr klein und einsam aus zwischen all den Schatten. Ihre Augen waren rot von Schlafmangel. Sie brachte Flandry das Gerät, der ihr entgegenkam und ihr mehrere Meter von Bryce entfernt begegnete. Sie beugte sich auf Zehenspitzen zu ihm vor und wisperte zittrig: »Was machst du jetzt?«
Flandry musterte sie. Er hatte geglaubt, sie auf der Reise gut genug kennengelernt zu haben, aber das war unter bestimmten Umständen gewesen – und wie gut kann ein Mensch den anderen trotz aller hochtrabender Psychologie je kennen? Seit der Gefangennahme des Ardazirho hatte er sie nur bei einem kurzen Besuch im Keller gesehen. Sie hatten ein paar Augenblicke für sich gehabt, aber nichts Persönliches wurde gesagt; dazu war keine Zeit gewesen. Er sah, wie sie zitterte.
»Ich werde Bruder Temulak befragen«, sagte er. »Und danach könnte ich etwas zu essen und einen kräftigen Drink gebrauchen.«
»Mit Judith Hurst?« Ihn erstaunte, wie wild sie ihn anfuhr.
»Kommt drauf an«, antwortete er vorsichtig.
»Dominic …« Sie schlang verloren die Arme um die Schultern, um nicht mehr zu zittern. Mit verschwommenem Blick sah sie ihm in die Augen. »Nicht. Bitte zwing mich nicht, etwas zu tun … das ich nicht will …«
»Wir werden sehen.« Er ging auf die innere Tür zu. Kit begann, vor Hoffnungslosigkeit zu weinen.
Bryce stand auf. »Was ist denn hier los?«, fragte er.
»Sie ist übermüdet.« Flandry öffnete die Tür.
»Schlimmer.« Der Jäger blickte zwischen ihm und dem Mädchen hin und her. Groll lag in seiner Stimme: »Vielleicht geht es mich nichts an …«
»Tut es nicht.« Flandry trat ein und schloss die Tür hinter sich.
Temulak lag zitternd und keuchend auf dem Bett. Flandry stellte den Rekorder ab und nahm dem Ardazirho die Stopfen aus den Ohren. »Wollten Sie etwa mit mir reden?«, fragte er milde.
»Lassen Sie mich gehen!«, kreischte Temulak. »Lassen Sie mich gehen, sage ich! Zamara shammish ni ulan!« Er öffnete das Maul und heulte. Er klang so sehr nach einem Tier, dass es Flandry kalt den Rücken hinunterlief.
»Das werden wir sehen, wenn Sie kooperativ waren.« Der Terraner setzte sich.
»Ich hätte nie gedacht … ihr grauen Wesen … graue Herzen …« Temulak wimmerte. Speichel sickerte ihm zwischen den Reißzähnen hervor.
»Also dann, gute Nacht«, sagte Flandry. »Träumen Sie süß.«
»Nein! Nein, ich will sehen! Ich will riechen. Ich werde … zamara, zamara …«
Flandry begann mit dem Verhör.
Es dauerte. Das Grundprinzip bestand darin, dem Verhörten keine Ruhe zu gönnen – eine Frage zu stellen, die Antwort zu hören, die nächste Frage zu stellen, sich auf den kleinsten Widerspruch zu stürzen, immer wieder nachzuhaken, zu fragen, dem Opfer keine Sekunde Bedenkzeit zu geben. Ohne Partner war Flandry bald müde. Er machte weiter, zehrte von Zigaretten und seinen Nerven; nach der ersten Stunde vergaß er die Zeit.
Am Ende hatte er einen vollen Speicher und entspannte sich ein wenig. Die Luft war vor Rauch zum Schneiden dick. Unter seiner Kleidung spürte Flandry klebrigen Schweiß. Er rauchte noch eine Zigarette und nahm wie weit entfernt wahr, dass seine Hand zitterte. Doch Temulak wimmerte und zuckte, von schierer psychischer Erschöpfung fast um den Verstand gebracht.
Das Bild ist nur ein grober Umriss, dachte Flandry in dumpfer Betäubung. Wie viel konnte auch in einer Nacht von einer ganzen Welt berichtet werden, ihrer Größe und reichen Vielfalt, ihren vielen Völkern und deren Geschichte? Wie viel wissen wir bis auf den heutigen Tag wirklich von Terra? Doch die Aufzeichnung enthielt Informationen, die ganze Schiffe wert waren.
Irgendwo dort draußen war eine Sonne, heller noch als Cerulia, und ein Planet, den seine vorherrschende Nation Ardazir nannte. (›Nation‹ war das anglische Wort; Flandry hatte den Eindruck, dass sich Orbekh besser mit ›Klanallianz‹ oder ›Rudelbund‹ übersetzen ließ.) Dieses Land hatte unabhängig die interplanetare Raumfahrt entwickelt. Dann, vor etwa fünfzehn Standardjahren, waren über Ardazir Gravitationsantriebe und Pseudogeschwindigkeit oberhalb der Lichtmauer hereingebrochen – das ganze Arsenal der modernen Galaxis. Die Kriegsherren (Häuptlinge, Sprecher, Rudelführer?) von Urdahu, dem dominanten Orbekh, hatten sie prompt benutzt, um die Unterwerfung ihrer eigenen Welt zu vollenden. Danach hatten sie sich
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