Flandry 6: Schattenwelt
groß wie du«, sagte Susette, »mager – nein, ich meine feinknochig und schlank – bis auf die breiten Schultern und die vorspringende Brust. Sechs Finger an jeder Hand mit einem zusätzlichen Gelenk, bernsteingelbe Nägel; aber an den Füßen vier Krallen und ein Sporn nach hinten wie bei einem Vogel. Und er sagte, seine Spezies entstammt einem … einem Analogon zu flugunfähigen Vögeln. Über seinen Körper kann ich mehr nicht sagen, weil er immer eine lange Robe trug, aber er ging normalerweise barfuß. Sein Gesicht … nun, es würde klingen, als wäre er hässlich, wenn ich nur von einer gewölbten Stirn sprechen würde, einer großen Hakennase, schmalen Lippen, spitzen Ohren und natürlich den Formen, Winkeln und Proportionen, die anders sind als bei uns. Er ist wirklich schön. Wenn er mich gelassen hätte, hätte ich ihm tagelang in seine riesigen rotbraunen Augen schauen können, die kein Weiß hatten. Seine Haut ist von einer tiefen Goldfarbe. Soweit ich sehen konnte, war er haarlos, aber auf seinem Schädeldach ist eine Art Haifischflosse, die aus dunkelblauen Federn besteht, und kleinere Federn in der gleichen Farbe bilden seine Augenbrauen. Seine Stimme ist tief und … pure Musik.«
Flandry nickte. »M-hm. Er war in eurem Haus untergebracht?«
»Ja. Uns und den Dienstboten war es streng verboten, ihn irgendwo draußen zu erwähnen. Wenn er das Gebäude aufsuchte, das sein Team bezogen hatte – oder die Stadt ganz verließ, das kann ich nicht sagen –, zog er Stiefel an, eine Kapuze und eine Gesichtsmaske, als käme er irgendwoher, wo die Männer in der Öffentlichkeit alles bedecken; und wenn er langsam lief, konnte er den Gang eines Menschen nachahmen.«
»Hast du irgendeinen Hinweis auf das, was er tat?«
»Nein. Sie bezeichneten ihn als einen … Berater.« Susette setzte sich aufrecht. »War er wirklich ein Spion?«
»Ich kann ihn identifizieren«, erwiderte Flandry, »und die Antwort lautet nein.« Warum sollte er seine eigenen Begleiter bespitzeln – seine Untergebenen? Er hat sie nicht hierher gebracht, um Informationen zu sammeln, es sei denn zufällig. Ich bin mir ziemlich sicher, er ist hier, um einen Krieg vom Zaun zu brechen.
»Ach, da bin ich froh«, rief Susette aus. »Er war solch ein angenehmer Gast. Auch wenn ich seiner Konversation manchmal nicht folgen konnte. Martin gelang es besser, aber selbst er verlor den Faden, wenn Aycharaych von Kunst und Geschichte zu sprechen begann – terranische Kunst und Geschichte. Er beschämte mich, indem er mir zeigte, wie wenig ich über meine eigene Heimatwelt weiß. Nein, beschämt ist nicht das richtige Wort; wirklich interessiert – ich wollte alles nachholen und lernen, ich wusste nur nicht wie. Und dann sprach er wieder auf meinem Niveau, erwähnte Kleinigkeiten, die ich nie bemerkt oder zu schätzen gewusst hatte, und brachte mich dazu, sie zu beachten, und plötzlich schien mir dieses öde Haus von Wundern erfüllt, und …«
Sie ließ sich zurücksinken. »Habe ich dir genug gesagt?«, fragte sie.
»Vielleicht habe ich später noch ein paar Fragen«, antwortete Flandry, »aber ja, im Moment habe ich genug.«
Sie streckte die Arme aus. »O nein, das hast du nicht, du schlimmer Mann, du! Du hast gerade erst angefangen. Komm her.«
Flandry gehorchte. Doch während er sie in die Arme nahm, rief er sich sein letztes Zusammentreffen mit Aycharaych in Erinnerung.
IX
Vier Jahre war es her, im planetenweiten Winter des seine Sonne exzentrisch umlaufenden Talwin. Nachdem sie gleichzeitig von den Kampfschiffen gelandet waren, die sie hergebracht hatten, wurden Captain Sir Dominic Flandry und sein Gegenpart, Qanryf Tachwyr der Dunkle, mit gewissenhafter Genauigkeit von den beiden Kommissaren ihrer jeweiligen Spezies empfangen, die die gemeinsame merseianisch-terranische Basis leiteten. Nach angemessenem Zeremoniell drückten sie ihren Wunsch aus, allein zu Abend zu speisen, damit sie offen und ungestört Dienstangelegenheiten besprechen konnten.
Der Raum, den man ihnen zu diesem Zweck überließ, war so nüchtern ausgestattet wie notwendigerweise der ganze Stützpunkt. Talwins System zog durch die Wildnis, jene wenig erforschte Pufferzone zwischen Imperium und Roidhunat; es zog keine Händler an, folglich litt das Unternehmen unter einem mageren Budget. Ein Tisch, einige Stühle und Hocker, eine Anrichte und ein Telefon bildeten die einzige Einrichtung, es sei denn, man zählte den Servierroboter mit den Sensoren und
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