Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
den Ball an, um ihn dem Jungen zurückzuschießen. Dank seiner Erfahrung als Jahreskartenbesitzer des FC Bayern traf Carlo den Ball wie ein alter Beckenbauer, doch der Ball flog schlapp wie ein ausgelatschter Turnschuh über die Straße. Alle Luft war entwichen, und jetzt sah Carlo auch, warum. Die ganze Straße war voller Scherben. Sofort fing der Kleine an zu plärren, und es hätte sicherlich eine endlose Diskussion mit der Mutter gegeben, hätte sich nicht genau in dem Moment die Wagenkolonne wieder langsam in Bewegung gesetzt.
»Was war denn mit dem Jungen?«, fragte Anna nur mit halbem Interesse.
»Ich hab ihm seinen Ball kaputt geschossen.«
»Wieso das denn?«
»Eure armen, armen Kinder«, stichelte Elli von hinten.
»Noch haben wir keine!«
»Von mir aus sofort.« Das meinte Carlo ernst.
»Carlo«, ermahnte ihn Anna, als wäre der Gedanke, Kinder zu haben, völlig absurd. »Und du, Elli, lies doch einfach deine Zeitung weiter! Hm?« Anna war auf das Thema Kinder überhaupt nicht gut zu sprechen. Das war wirklich das Letzte, was sie jetzt brauchte.
»Wer jetzt geboren wird, hat eine Lebenserwartung von fast hundert Jahren.« Carlo fand das erstaunlich.
»Und muss auf einem Planeten ums Überleben kämpfen, der fünf Grad wärmer ist und neun Milliarden Menschen ernähren soll. Viel Spaß!«
»Schaun wir mal. Das kommt eh immer alles anders.«
»Anna hat schon recht, es wird heiß und eng in Zukunft«, sprach Elli in ihre Zeitung vertieft. »Auch in Schwabing.« Manchmal vergaß ihr Bruder, dass es außerhalb seines Kokons noch eine andere Welt gab.
»Arschloch!«, rief Anna plötzlich und setzte gereizt nach: »Typisch Audi TT! Ha! Entschuldigung, aber dieser Halbstarke, also wirklich.«
Schon war Anna ihre rüde Wortwahl etwas peinlich.
Carlo grinste und sah sich seine Anna genauer an. Was für eine schöne Frau sie doch war, besonders, wenn sie sauer war. Dann bekam ihr Gesicht eine Strenge, der man sich nicht entziehen konnte. Sie war mit Abstand die schönste Frau, mit der er jemals zusammen gewesen war. Er beobachtete sie dabei, wie sie ihre dezente Schminke im breiten, alten Rückspiegel kontrollierte. Sie sah natürlich perfekt aus. Anna sah zu jeder Zeit perfekt aus. Doch anders als Carlo war sie nicht entspannt.
»Vorsicht Freundchen!« Sie konnte sich immer noch nicht beruhigen. Jetzt war das Kennzeichen des penetranten Dränglers, der ihr trotz des zähen Verkehrs ständig an der Stoßstange hing, zu erkennen.
»Typisch Ossi! Leipzig? Pah, der hat doch noch aufm Trabant gelernt«, schimpfte sie weiter und zupfte nervös an ihrem grün schimmernden, seidenen Hermes-Tuch, das sie sich um ihren schlanken Hals gebunden hatte und ihre Augen so geschickt betonte. »Erst holpern sie mit Kartons aus Plaste und Elaste an der Mauer entlang, und dann dürfen sie sich plötzlich 200 PS unter ihren planwirtschaftlichen Hintern klemmen.«
Ohne von ihrer Zeitung aufzublicken, sagte Elli: »Ich dachte, wir sind ein Volk?«
»Ja, klar doch. Aber wir auch!« Anna war heute besonders gereizt.
Carlo brachte nichts aus der Ruhe, er war längst woanders.
»Wenn wir da sind, geh ich gleich was einkaufen und mach uns zur Feier des Tages eine …«
»Bitte, wenn es dich nicht stört, dass dir jemand deinen alten Wagen zu Schrott fährt?«, unterbrach ihn Anna.
»Der merkt das bestimmt gar nicht. Ist wahrscheinlich genauso gestresst und urlaubsreif wie …«
»Wie wer? Ich? Was soll das heißen?« Sie umfasste das schneeweiße Lenkrad fest mit ihren schlanken Fingern, gerade so, als drohte es ihr sonst zu entgleiten. Carlo hatte mal wieder den falschen Ton getroffen.
Elli blickte zur Abwechslung von ihrer Zeitung auf. Sie drehte sich um und sah durch das bauchige Heckfenster auf den nervösen Audi. »Was für ein lächerliches Design. Spaßauto. Erinnert mich einfach ständig an ein Stück geschmolzene Butter. Wie so ein lackierter Pudding, nur mit Lichtern und vier Rädern. Schade, das andere Volk hat auch keinen besseren Geschmack.«
Carlo konnte seiner Schwester nur beipflichten. »Bevor dieses Flaggschiff der bayerischen Motorenwerke aus dem Jahre zweiundsechzig auch nur einen Kratzer hat, da wird dieses Blendwerk von einem Auto hinter uns schon wieder zu einem Verkehrsschild recycelt. Das schwör ich euch.«
»Gut gebrüllt, Löwe!«, sagte Elli.
Anna sah das anders. »Wir könnten uns auch mal einen neuen Wagen kaufen. Was Schnelles, mit Navi und vor allem mal ohne Macken!«
Doch Carlo
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