Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
materiellen Dingen fehlen wird.
Ich bin zum letzten Mal eingeschlafen. Wann immer Du an mich denkst, so sei gewiss, Du hast einen glücklichen Menschen vor Augen.
In unbeschreiblich großer Liebe und Dankbarkeit! Dein Vater.«
Zitternd, aber nicht mehr vor Kälte, faltete Tina die Seiten mit den Worten ihres Vaters, verfasst in Ellis Handschrift, zusammen. Ihr war, als wäre ihr Herz stehengeblieben.
Einzigartige Schönheit. Das war es, was Elli dachte. Es waren die einzigen Worte, die Elli in den Sinn kamen, als sie Tina zusah. Tina war von einer einzigartigen Schönheit umhüllt. Die Tragik machte sie zu einem Wesen aus einer anderen Welt.
Auch die anderen kamen jetzt alle auf die Terrasse und schauten zu Tina hinüber.
»Was liest sie da?«, fragte Heiko.
»Einen Brief an sie, von ihrem Vater«, sagte Elli.
Dann stand Tina langsam auf und faltete auch das zweite Schreiben zusammen. Sie bemerkte, wie die anderen sie beobachteten, und ging auf sie zu.
Kaum war sie da, stellte sie sich vor Elli. »Er sagt, er sei glücklich! Glücklich?«
»Ich glaube ihm«, antwortete Elli. »Das wirst du auch. Vielleicht nicht heute, aber bald.«
Wie sich später herausstellte, war das zweite Schreiben sein Testament, das er schon vor längerer Zeit verfasst hatte. Ursprünglich sollte alles an diverse karitative Einrichtungen gehen. Das konnte es immer noch, wenn Tina es wollte, denn Saalfeld hatte Elli gebeten, seinen Letzten Willen zu ändern. Sein gesamtes Vermögen, es durfte sich gerne um einen dreistelligen Millionenbetrag handeln, sollte nun an Tina gehen, seine einzige direkte Verwandte. Elli Mangold war sein Zeuge. Bei vollem Verstand hatte er die letzte Unterschrift seines Lebens geleistet, glücklich und ohne Hilfe.
Tina tröstete das Geld wenig. Sie würde noch lange Zeit brauchen, um die letzten Tage zu verarbeiten. Als Erstes wollte sie unbedingt mit ihrer Mutter reden. Sie mussten wieder zueinanderfinden.
Bevor sie alle wieder abreisten, hatte Carlo noch einmal für sie gekocht. Es gab Tortellini mit Parmaschinken, Erbsen und etwas Sahne.
Nun, am späten Nachmittag, saßen sie alle wieder in der Küche beisammen. Aber dieses Mal war es anders als nach der wilden Nacht. Das Erlebte verband sie und gab ihnen gegenseitig Halt. Ganz offen sprachen sie über die Zukunft. Anna wollte immer noch nach London, aber unter anderen Vorzeichen. Sie wollte ihre Erfahrung nur noch ausgewählten Firmen zur Verfügung stellen, Firmen mit einem Gewissen. Sie hatte kein Problem damit, dass Sandra sich, um bei Carlo zu sein, nach einer Stelle in einem Münchner Krankenhaus umsehen wollte. Im Gegenteil, sie freute sich für die beiden.
Auch Heiko hatte damit seinen Frieden geschlossen. Er wollte zwar in Leipzig bleiben, aber er wusste trotzdem, er würde vieles in seinem Leben ändern. So wie Lutz sein Laptop mit seiner ganzen Arbeit zerschlagen hatte, die ihm plötzlich so nutzlos, so unzumutbar theoretisch vorgekommen war. Seine eigene Hilflosigkeit hatte ihm die Augen geöffnet.
Elli würde in Italien bleiben, bei Elia, der nie wieder ohne sie sein wollte. Sie wollte sich der Romanze hingeben, und Carlo versprach Elia, dass er ein Drei-Gänge-Menü aus ihm machen würde, sollte seine Schwester mit Tränen nach München zurückkommen.
Da stand Tina auf. »Nur kurz. Ich danke euch für alles, was ihr für mich und Saalfeld, also meinen Vater, getan habt. Was wir erlebt haben, kann man kaum beschreiben. Ich glaube, es hat uns alle verändert. Ich habe das Gefühl, neue Freunde gefunden zu haben.« Kurz sah sie zu Lutz. »Freunde, die mir sehr wichtig sind. Also, ich möchte dir, Elli, dieses Haus verkaufen zu einem symbolischen Freundschaftspreis, weil ich weiß, dass du es als Geschenk nie annehmen würdest. Du hast diese Villa von Anfang an geliebt. Nur unter deinen Händen wird sie wieder zu neuer Blüte kommen. Ich selber habe keine Zeit und noch zu viel Angst vor diesen Wänden …«
»Halt!« Anna sprang auf und unterbrach sie. »Aber nur unter einer Bedingung. Ich finde, Elli sollte das Angebot nur annehmen, wenn wir alle schwören, dass wir uns hier nächstes Jahr, jedes Jahr, zur gleichen Zeit wieder treffen. Carlo wird uns bekochen, und wir werden uns erzählen, was das Leben mit uns gemacht hat. Für unsere Freundschaft und für Saalfeld.«
Sie sahen sich alle in die Augen. Dann erhoben sie, einer nach dem anderen, ihre Gläser.
Blieben noch die knapp zwei Millionen. Wer hatte sie geklaut? Keiner, denn es
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