Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Marmorsäule, um Halt zu finden. Sie hatte sich im Griff, dachte sie. Von wegen!
»So, die Damen, dann wollen wir mal«, trällerte Heiko falsch fröhlich und hoffte, die lästige Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen zu können. Schließlich hatte er achtzehntausend stolze Europäer in der Tasche, von denen ein Teil es kaum erwarten konnte, in der nächsten Kassenschublade zu landen. Sobald dieser kindische Schaukampf mit Tina überstanden war, würde er richtig zuschlagen. Was sollte er sich Feines gönnen? Einen todschicken, sündhaft teuren Anzug, mit dem er bei der nächsten Tagung jeden einzelnen Kollegen für immer zum Schweigen bringen und Seminarleiterinnen flachlegen würde? Oder viel besser noch einen dieser schweren italienischen Chronometer. Warum nicht gleich eine kleine Rolex? Oder beides und obendrauf ein paar handgefertigte Schuhe, die jeden ruinierten, der sie nur ansah? Eigentlich waren achtzehntausend Euro viel zu wenig für einen Mann seines auserwählten Geschmacks.
»Dette probieren wa jetzt ma an!«, sagte Tina und hielt ihm einen bizarren Fetzen Stoff vor die Nase.
War die von allen guten Geistern verlassen? Das Muster auf dem Hemd war ganz offensichtlich von einem gestörten Psychopathen gemalt. Damit blamierte man sich ja selbst auf dem Christopher Street Day. Er hatte ja viel Humor, das konnte nun wirklich keiner leugnen, aber die Nummer ging zu weit.
Trotzdem stand er in der nächsten Minute in der Umkleidekabine dieses beknackten Ladens, der offensichtlich nur für Verrückte da war, und streifte sich das absurde Dschungelhemd über, von dessen Kragen ein schizophrener Papagei herabschielte. Er stand zu seinem Wort. Also trug er ein Hemd, für das man an der amerikanischen Passkontrolle sofort als Terrorverdächtiger eingestuft und stundenlang verhört worden wäre.
Tina hatte gewonnen, ein hässlicheres Kleidungsstück ließ sich in der ganzen Stadt nicht finden. Touché! Warum nicht die Niederlage eingestehen und endlich mit dem eigenen Tagesprogramm beginnen? Aber Heiko konnte dieser alternativen Hexe den Triumph nicht gönnen. Dann wäre seine Selbstachtung für immer zerstört. Er würde sich seine Revanche holen. Er würde für Madame etwas finden, was sie vor Scham im Boden versinken lassen würde. Wie Cäsar bei seiner siegreichen Rückkehr nach Rom, schritt er hinaus in den Verkaufsraum, mit dem Blick näher bei den Göttern als beim vulgären Volk.
In der nächsten Sekunde ertönte schallendes Gelächter. Nicht einmal die dickliche Verkäuferin mit ihren plump übermalten, tiefroten Lippen wollte sich zusammenreißen. Hatte die sie noch alle, empörte sich Heiko. Immerhin war das ihr Fummel, aus ihrem geschmacksverstörten Laden!
Doch es hatte auch sein Gutes. Sandra fiel ihm um den Hals und gab ihm – endlich, endlich, das wurde ja auch Zeit – einen verliebten, leidenschaftlichen Kuss. »Mein Tarzan! Brrr!«, schnurrte sie ihn an und biss ihm zur Belohnung ein Ohr ab.
Heiko grinste über beide Ohren und spannte seine Oberärmchen an wie ein Turner in den zwanziger Jahren, um sich dann mit beiden Fäusten wild auf die Brust zu hämmern. Johnny Weissmüller wäre stolz auf ihn gewesen. »Huaa! Wo Jane?« Als Belohnung bekam er noch einen Kuss! Also langsam, das musste er zugeben, fing das Hemd an, ihm zu gefallen. Er wehrte sich auch nicht gegen die »hotte« Halskette, die ihm Tina gleich noch dazu umhängte. Das Ding war purer Schrott. Ein schwarzes Kreuz, ein weißer Totenschädel, kleine bunte Schwerter und dazwischen lauter Kügelchen aus Glas, Silber und Gold, alles aufgereiht an einem dünnen Stahlseilchen. Ging es noch geschmacksloser? In jedem Kaugummiautomaten gab es besseren Schmuck. Schwer war der Kram noch dazu und baumelte fast bis zum Bauchnabel herab. Zum Glück war es nun überstanden.
»Fehlt nur noch die Hose«, frohlockte Tina.
Wie? Wo? Was? Die war immer noch nicht zufrieden? Er wollte Tina kräftig auf die Füße treten, aber ein unerwarteter erneuter Schmatzer von Sandra ermunterte ihn zu seiner eigenen Überraschung, mit größter Begeisterung weiter bei der Sache zu bleiben.
»Na klar, so ein flottes Hemd schreit doch nach einer Hose!«, jubelte er aus Versehen wie eine Tunte.
Tina schien es wichtiger, Heiko eins auszuwischen, als ihren eigenen neuen Reichtum auf den Kopf zu hauen.
Die Verkäuferin hatte schon längst die zweite Flasche Prosecco hervorgezaubert und sich auf seine Kosten mit den anderen beiden Damen
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