Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Mittag zum Aufräumen zu kommen, und Clemens machte Zeichen, dass wir telefonieren würden.
Müde und mit schweren Beinen ging ich eine Runde durch die Wohnung, die noch ganz passabel aussah. Nur der Rauch hing immer noch in der Luft, weshalb Leila mir anbot, bei ihr zu übernachten, was ich gern annahm.
Langsam wollte ich ins Bett, und als Partybremse machte ich einfach in allen Zimmern das große Licht an, was die gewünschte Wirkung erzielte, nämlich ungefähr eine so gemütliche Atmosphäre wie beim Gefangenentransport nach Sibirien. Diane hatte den Schneid, zu mir zu kommen, um sich noch mal für die Einladung zu bedanken und zu betonen, dass sie sich wirklich gut amüsiert hätte. Keine Ahnung, was mich antrieb, aber ich konnte und wollte dieses verlogene Getue nicht einfach so stehen lassen.
»Diane, präge dir besser noch mal alles ein, denn das war das erste und letzte Mal, dass du bei mir eingeladen warst. Ach, da fällt mir ein, du warst ja gar nicht eingeladen, sondern hast dich selbst aufgedrängt. Verspritze dein Gift in Zukunft wieder woanders, wo man es zu schätzen weiß, aber was mein Privatleben angeht, halte ich mich von Schlangen fern.«
Einen Moment lang hätte ich schwören können, dass sie getroffen zusammengezuckt war, aber nur einen Moment lang, und Diane wäre nicht Diane, wenn sie nicht gleich ihr Pokerface wieder aufgesetzt und sphinxgleich lächelnd »Nur nicht so vorschnell, wir werden ja sehen« gerufen hätte und winkend verschwunden wäre. Wäh, wie widerlich! Wo hatte Sarah das Sagrotan gleich wieder hingestellt?
Leila und ich beschlossen, alles so zu lassen, wie es war, und gleich zu ihr runter ins Bett zu gehen. Rudi zog mit einer der Musical-Cats-Katzen ab und versprach, morgen zum Aufräumen zur Stelle zu sein, was ich eher bezweifelte, aber so viel war auch nicht zu tun.
Egal, ich konnte meine Augen kaum noch offen halten. Schweigend schminkten Leila und ich uns bei ihr im Bad ab, zogen uns um und ließen uns todmüde in ihr bequemes Doppelbett fallen.
Es tat so gut, den Kopf in ein weiches, frisch bezogenes, nach Waschmittel riechendes Kissen sinken zu lassen. Meine Glieder waren schwer, meine Beine schmerzten vom langen Tag, endlich durfte ich schlafen.
Leila war schon eingeschlafen, schnarchte kurz und laut auf, worüber sie erschrak und sich selbst noch mal weckte.
Zufrieden rollte sie sich auf die andere Seite und grunzte.
»Wusstest du eigentlich, dass Ben Liv noch nie gesagt hat, dass er sie liebt? Hab ich zufällig gehört, als Liv sich bei Rudi nach der Flaschendrehen-Eskapade ausgeheult hat. Ich versteh Ben nicht, aber interessanter Typ. Wusstest du, dass er Liv noch nie gesagt hat, dass er sie liebt?«, wiederholte sie sich schlaftrunken.
Nein, wusste ich nicht und, ehrlich gesagt, war mir das, müde wie ich war, ziemlich egal, abgesehen davon, dass mir Liv noch ein bisschen mehr Leid tat.
Warum müssen Montage immer so schlimm sein wie ihr Ruf? Wäre es nicht schön, wenn sich eine Volksweisheit mal nicht bewahrheiten würde, wir froh gelaunt und ausgeschlafen an unsere Wirkungsstädte eilten und es gar nicht abwarten könnten, unser frohes Gemüt und die einhergehende Motivation unter die Menschen zu bringen? Dieser Montagmorgen hatte es zu allem Übel noch mehr in sich als ein gewöhnlicher. Meine Party, die erst achtundvierzig Stunden her war, aber schon als legendär galt, hatte tiefere Spuren hinterlassen, als ich befürchtet hatte. Ja, so war das eben, wenn man meinte, mit dreißig wie die Zwanzigjährigen feiern zu müssen, und dann feststellte, dass die Zellregeneration und alle anderen Körperfunktionen einen kläglich im Stich ließen. Man sah nicht nur bescheiden aus, man fühlte sich auch so, ja auch noch eineinhalb Tage danach.
Wenigstens saß ich in einem abgedunkelten Kino, sah mir den Film eines neuen angeblichen Ausnahmetalents aus Frankreich an und kämpfte damit, nicht einzuschlafen.
Hier musste ich nichts sagen oder mich zusammenreißen – leider ging die Vorführung nur bis zwei, dann musste ich in die Redaktion, es stand ein außerordentliches Meeting an, das bestimmt mit den schlechten Nachrichten zu tun hatte, die Clemens bereits Samstag auf meiner Party angedeutet hatte. Genau das Richtige für meine Gemütslage heute … Der einzige Lichtblick war die Biennale in drei Tagen. Endlich raus, mit Clemens ein paar Tage allein in Venedig, allerdings war »allein« Auslegungssache, immerhin waren alle Journalisten und Kritiker,
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