Flaschendrehen: Roman (German Edition)
zumindest die Stirnfalte zwischen den Augen würde sie bald botoxen lassen müssen, wenn sie weiterhin freiwillig und für den guten Zweck Lose auf Wohltätigkeitsgalas verteilen wollte.
Dummerweise war nur noch ein Stuhl neben mir frei. Das dachte sie wohl auch, setzte sich mit genervtem Blick und ignorierte mich. Es gab doch einen Gott, denn mir schlagfertige Antworten auf ihre feindseligen Kommentare auszudenken, dazu wäre ich an diesem Tag nicht in der Lage gewesen.
Clemens, der von allen erwartungsvoll angeschaut wurde, legte los.
»Schön, dass ihr alle da seid. Leider ist der Anlass selbst nicht ganz so schön. Zeitgeist fährt eine extrem aggressive Verkaufsoffensive bei unseren Anzeigenkunden, leider mit teilweisem Erfolg, wie wir seit kurzem wissen. Fischer gibt einen Teil ihres Werbebudgets zunächst probeweise für drei Ausgaben an die Zeitgeist .«
Vivienne, Praktikantin in der Textredaktion, fragte, was alle interessierte: »Aber wie konnte das passieren? Wir haben nicht nur die Auflagenzahl mit dem neuen Heft gesteigert, sondern sind auch eindeutig Marktführer geworden.«
Feline, die bisher schweigend und mit dem für sie typischen Sphinx-Blick daneben gesessen hatte, fiel es sichtlich schwer, uns die Erklärung mitzuteilen.
Wie sich herausstellte, kannte Ilona Richter, meine neue Möchtegernchefin in spe, durch ihr kurzes Zwischenspiel bei Phosphor unsere Preistabellen sehr genau und wusste, mit welchem Angebot sie gezielt unterbieten konnte.
Die Zwischenfrage, ob Ilona denn nicht vertraglich untersagt worden sei, zur Konkurrenz zu gehen und eben solche Firmengeheimnisse mitzunehmen, verneinte Feline. Zwar habe es eine Sperrklausel von einem halben Jahr gegeben, aber das sei schon längst abgelaufen, und außerdem könne man ihr ja nicht nachweisen, dass sie mit Absicht unsere Preise unterboten habe, immerhin würden wir den Gesetzten der freien Marktwirtschaft unterliegen – wenn Ilona ab morgen die Seite für drei Euro verticken wolle, konnte sie das eben auch.
»Das war leider nicht alles«, übernahm Clemens wieder.
Er sah trotz der schlechten Nachrichten immer noch umwerfend aus, wenn er dann noch so brillant sprach und auftrat, war es wieder um mich geschehen.
»Sie werden die erste Ausgabe von Zeitgeist kostenlos verteilen, was legitim ist und nicht unüblich, aber das Beste kommt noch. Ihre Werbekampagne! Wie ihr wisst, darf man seit einiger Zeit auch bei uns vergleichende Werbung machen. Die Zeitgeist hat eine Kampagne vorbereitet, die auf einen direkten Vergleich mit uns abzielt. Angeblich sieht man ein Mädel nachts auf einer Parkbank liegen. Sie ist über einem Magazin eingeschlafen, das rein zufällig wie unseres aussieht und den originellen Schriftzug ›Fossfor‹« – er buchstabierte den Namen – »trägt. Als Claim ist aufgedruckt: ›Keine Leuchten‹ Alles in Anspielung auf unseren Namen. Als Rettung geht am Horizont die Sonne auf in Form von, na, ratet mal, genau in Form von Zeitgeist .«
Widerwillig mussten einige lachen, nicht wegen der Kampagne an sich, aber der Spruch »Keine Leuchten« war zugegebenermaßen irgendwie witzig, auch wenn wir damit gemeint waren. Was allerdings weniger witzig war, war die Aggressivität, mit der die Zeitgeist vorging, nämlich mit dem offensichtlichen Ziel, uns komplett vom Markt zu drängen und zu vernichten, was in der Branche dann doch eher unüblich war. Normalerweise belebte auch bei uns Konkurrenz das Geschäft, man ließ sich gegenseitig leben, richtete sich inhaltlich komplementär oder eben entgegengesetzt aus, wie das Der Spiegel und Focus erfolgreich vormachten.
»Und das dürfen die wirklich, einfach so?«, fragte Michi ungläubig. Diane, die trotz Kater wieder genug Energie gesammelt hatte, äffte Michi nach und flüsterte laut genug, damit es jeder hören konnte.
»Nein, da müssen sie wie du immer erst den Papi fragen.«
Clemens überhörte Dianes Kommentar geflissentlich und ging besonders nett und ausführlich auf Michi ein.
»Eigentlich muss diese vergleichende Werbung auf Fakten basieren und darf nicht eine Meinung widerspiegeln oder gar beleidigend sein, aber dadurch, dass sie Phosphor anders geschrieben haben, werden sie versuchen sich rauszureden. Wenn wir die Anwälte loslassen, wird das ein paar Tage dauern, bis wir eine Unterlassungsklage erwirkt haben. Bis dahin ist die Republik mit Plakaten, Flyern, Spots und Anzeigen voll gekleistert worden, und wir werden als spaßfrei und unsouverän
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