Flaschendrehen: Roman (German Edition)
schließlich war Diane Sarahs Auftritt in Verbindung mit Clemens im Café Petersburg in schmerzlicher Erinnerung geblieben.
Clemens, der um Sarahs Gefühle für ihn wusste, ließ sich nichts anmerken, wofür ich ihm sehr dankbar war. Sarah hatte sich so die Kante gegeben, dass sie hoffentlich nicht mehr viel merkte. Vorsichtshalber flüsterte ich ihr ins Ohr: »Du musst das nicht machen, wenn du nicht kannst. Keiner zwingt dich, du kannst auch einfach sagen, dass dir schlecht ist und du aufs Klo musst.«
Sarah nickte, aber winkte ab.
»Da muss ich durch. Höchste Zeit, dass ich ein normales Verhältnis zu Clemens bekomme.«
Na ja, ob ein Kuss da die passende Methode war, wollte ich mal dahingestellt sein lassen, aber ich verstand, was sie damit sagen wollte.
Liv, die unser Geflüster natürlich nicht unkommentiert lassen konnte, rief zuckersüß: »Was ist? Küssen kann doch nicht so schwer sein. Einfach beide Lippen auf die Lippen des anderen drücken.«
Clemens warf ihr einen »Und töten kann auch nicht so schwer sein, wenn man dir zuhören muss«-Blick zu. Diesen Blick hatte ich zuvor noch nicht gesehen, aber er war eindrucksvoll, wie auch Liv fand, die schnell verstummte.
Clemens nickte Sarah zu, kam ihr entgegen und gab ihr einen flüchtigen Kuss.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte Clemens die Flasche und traf Diane. Zugegeben, ich war selbst schuld, so war das eben, wenn man meinte, das Schicksal herausfordern zu müssen, niemand hatte mich gezwungen mitzumachen, und dass Diane ein zweites Mal am Zug war, konnte eben bei diesem Spiel passieren. Wenigstens würde sie nicht sich selbst und Clemens in dieser Runde wählen können, dachte ich noch froh, ohne zu ahnen, was im nächsten Moment auf mich zukam.
Diane schaute in die Runde. Ein selbstgefälliges Lächeln umspielte ihren Mund. Sie hatte ihre Wahl schon längst getroffen, das merkte jeder, aber sie genoss es, die Unentschlossene zu spielen, sich mit den Fingern gegen die Lippen zu trommeln und vor sich hin zu murmeln: »Wen nehm ich da bloß, wen nehm ich da bloß!«
Plötzlich hielt sie inne, rief, als ob ihr im Moment zwei Namen eingefallen wären: »Ich hab’s«, und sah mir spöttisch in die Augen.
»Gretchen und Ben!«
Genüsslich weidete sie sich an meinem erschrockenen Gesicht und Livs wütendem Aufschrei. Ob Liv in diesem Moment bereute, Diane alles, was sie über Ben und mich wusste, erzählt zu haben? Ich konnte es nur hoffen, vielleicht lernte sie wenigstens etwas daraus. Zum Beispiel, dass jemand, der mich auch hasste, dadurch nicht zu einer netten Person oder automatisch neuen Busenfreundin wurde. Diane spielte Informationen aus, wenn sie ihr nutzten. Liv hatte ihre Schuldigkeit getan, zu mehr war sie nicht mehr zu gebrauchen, also wozu diskret sein.
Ben schaute mich mit einem undefinierbaren Blick an. Rudi, dem die ganze unangenehme Situation bewusst war, versuchte die Situation mit einem Scherz aufzuheitern.
»Gretchen und Ben gilt nicht, Ben gehört quasi zur Familie«, war sein Rettungsversuch. Stille, die Anspannung blieb und stieg noch an, als Diane laut und vernehmlich wiederholte.
»Ich sagte Gretchen und Ben. Die Spielregeln habt ihr doch kapiert, oder? Ihr wisst, was zu tun ist?«
Ich kann mit gutem Gewissen behaupten, dass ich sie in diesem Moment hasste.
Ben verzog keine Miene und kam langsam auf mich zu. So sah niemand aus, der gleich ein, wie ich fand, eigentlich sehr passables Mädchen wie mich küssen durfte, sondern eher wie jemand, der im Dschungelcamp Känguruhoden vorgesetzt bekam. Zögernd rutschte ich ihm auf Knien entgegen. Wir schauten uns an, sein Gesicht war von meinem nur noch Zentimeter entfernt, ich konnte seinen Atem spüren, sein leicht geöffneter Mund war im Begriff, mich zu küssen. Er schloss die Augen. Sein Mund suchte nach meinem, plötzlich und gerade noch rechtzeitig brach er ab, sah mich an, rief: »Ich kann das nicht, Flaschendrehen war eh ’ne Schwachsinnsidee, ich hör auf.«
Stand auf und verließ das Zimmer. Liv sofort hinterher. Im Vorbeigehen zischte sie mir zu: »Na, bist du jetzt glücklich?«
Als ob ich etwas dafür konnte!
Allgemeines Gemurmel wurde laut, Diskussionen brachen los, ob man jetzt aufhören oder weitermachen sollte, und in all dem Trubel thronte Diane mit einem unübersehbaren zufriedenen Lächeln.
Clemens stand auf und machte mir Zeichen, mit rauszugehen, was ich nur allzu gern tat, schließlich wurde man nicht alle Tage öffentlich
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