Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Freundin war, konnte man ihr doch sagen, in welchem Verhältnis wir zueinander standen. Im selben Moment fiel mir auf, dass Clemens zwar meine Familie samt engem Freundeskreis schon kannte, ich hingegen gerade zum ersten Mal jemanden aus Clemens’ Bekanntenkreis traf, von seiner Familie ganz zu schweigen.
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, aber mein Magen zog sich heftig zusammen. Zum ersten Mal verletzte es mich, dass wir in der Öffentlichkeit nicht zueinander stehen konnten, auch wenn ich dem selbst zugestimmt hatte. Eins war klar: Lange würde und wollte ich nicht mehr wegen des Jobs auf Clemens und mein Privatleben verzichten und ein Versteckspiel aufrechterhalten, das sich anfangs vielleicht spannend gestaltet hatte, inzwischen aber eher lästig wurde.
Warum störte es mich, Clemens mit jemandem so vertraut herumalbern zu sehen? Warum passte es mir nicht, obwohl ich Chris auf Anhieb mochte, dass die beiden alte Anekdoten austauschten und sich mit einer Insidergeschichte nach der anderen übertrafen. Wenn ich ehrlich war, wusste ich die Antwort nur zu genau: weil ich lediglich als die nette Kollegin dabeistand, die einen guten Job machte, aber ansonsten nichts mit Clemens zu tun hatte. In jeder Beziehung kommt irgendwann der Punkt, an dem man sein gemeinsames Glück herausschreien, nicht mehr hinterm Berg halten, sich zum anderen bekennen will. Solange es sich wie in Berlin nur um Kollegen wie Diane oder Michi handelte, konnte ich damit umgehen, aber Chris war ein Stück aus Clemens’ Leben, seiner Vergangenheit, eine Freundin von ihm.
Den aufsteigenden Kloß im Hals schluckte ich hinunter und ging unter dem Vorwand, mich für die Party umzuziehen, aufs Zimmer.
»Wir sehen uns aber noch, ja? Schließlich hab ich noch nie eine so liebenswürdige Kollegin von Clemens getroffen. Wir sollten alle etwas gemeinsam unternehmen«, verabschiedete Chris mich herzlich mit Küsschen links und rechts auf die Wange.
Ich nickte freundlich und rettete mich auf das Hotelzimmer, wo mir die Tränen in die Augen schossen. Schleusenartig entleerten sich meine angestauten unterdrückten Gefühle, und mit einem Schlag war mir klar, dass ich das beruflich begründete Versteckspiel von Clemens und mir so nicht mehr weiter spielen wollte und konnte. Allein, wenn ich an die Kommentare der weiblichen Belegschaft in den letzten Wochen dachte … die Flaschendrehszenen auf meiner Einweihungsparty; die Spekulationen; die Fragen, ob Clemens Single sei oder nicht, wie er wohl küsse, und und und. All das hatte ich tapfer geschluckt und mir vorgemacht, dass es mich nicht wirklich störe. War ich eigentlich noch normal? Da hatte ich endlich einen Mann wie Clemens gefunden, der alles mitbrachte, wonach ich mich gesehnt hatte, und was machte ich? Ich tat cool, gab vor, es spielend zu schaffen, die Beziehung geheim zu halten, und außerdem dabei auch noch völlig professionell meinen Job zu machen.
Mein verheultes elendes Spiegelbild bestätigte mir, was ich immer schon gewusst hatte: Ich war ein romantisches Seelchen mit Hang zum Dramatischen, und wenn ich für etwas nicht geschaffen war, dann für Kalkül und Versteckspiel.
»Mein Gott, Gretchen, was ist passiert?«
Clemens war unbemerkt hereingekommen, hatte mich gesehen, war zu mir gestürzt und nahm mich beschützend in den Arm. Schluchzend, nach Luft schnappend und von neuen Krämpfen geschüttelt, versuchte ich, mich verständlich zu machen.
»Ich kann uns nicht mehr verleugnen. Das tut zu sehr weh!«
Clemens zog mich fest an sich, küsste mich und strich mir über die Haare. Ich sah, dass er selbst feuchte Augen bekam und mit den Tränen kämpfte.
Stammelnd stieß er aus.
»Das musst du auch nicht mehr, ich verspreche es. Ich wusste nicht, dass es so schlimm für dich ist, glaube mir, wenn ich gewusst hätte, wie sehr du leidest, hätte ich diesen Vorschlag niemals gemacht.«
Ich wischte mir die Tränen von den Wangen und antwortete immer noch nach Luft schnappend: »Ich wusste das ja auch nicht, ich alte Heulsuse!«
Wir sahen uns an und mussten unter Tränen lachen.
Clemens zog mich an sich.
»So, jetzt ziehen wir zwei Hübschen uns um, gehen auf die Premiere, und später beim Essen unterhalten wir uns in aller Ruhe über unsere Zukunft.«
Nach diesen Worten fühlte ich mich leicht und beruhigt.
Das klang gut. Ein Mann, der von sich aus über die Beziehung sprechen wollte, kam ungefähr so häufig vor wie gut gelaunte Frauen kurz vor der Menstruation. Ich
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