Flaschendrehen: Roman (German Edition)
sprang unter die Dusche und ließ kaltes Wasser über mein Gesicht laufen, um die roten Schwellungen abzukühlen. Ich wollte heute Abend umwerfend aussehen und nicht als verheultes und derangiertes Aschenputtel auf den Ball gehen!
Wozu sonst hatte ich den letzten Samstag im KaDeWe verbracht, um ein passendes Abendkleid samt Schuhen zu suchen? Nach stundenlanger Odyssee, unzähligen Kleidern, kurz vor Ladenschluss hatte mir die freundliche, sehr elegante und stilsichere Verkäuferin das Du angeboten, schließlich hatten wir einiges zusammen durchgestanden, um das perfekte Outfit zu finden. Es gab kein Label, dessen Abendrobenkollektion ich nicht anprobiert hatte. Mal war es die Farbe, die nicht passte, mal erschien mir mein Dekolletee zu üppig, mal wurden die Hüften zu sehr betont. Miriam, so hieß meine geschulte Beraterin und Leidensgenossin, hatte sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen, obwohl ich von Kleid zu Kleid verzweifelter wurde und mich schon in ein Bettlaken eingehüllt mit Clemens über den roten Teppich stolzieren sah. Miriam war Verkäuferin aus Leidenschaft, eine aussterbende Spezies.
»Wir finden es, glaube mir, und wenn wir dir eins schneidern müssen!«, rief sie voller Optimismus und Überzeugung, die selbst mir die Zweifel nahmen. Fünf Stunden sind eine lange Zeit, vor allem wenn man sie zwischen Umkleidekabine und Spiegel verbringt, schonungslos die Schwachstellen des eigenen Körpers im selten vorteilhaften Umkleidelicht einer Wildfremden offenbart. Diese sich zwangsläufig einstellende Intimität zwischen Verkäuferin und Käuferin lässt einen Dinge erzählen, die man sonst lieber für sich behielt. Miriam wusste nach einer halben Stunde, für welchen Anlass ich das Kleid brauchte, nach einer weiteren war sie bestens über die Beziehung zu Clemens informiert, und als sie nach weiteren zermürbenden vier Stunden mit dem Kleid der Kleider, meinem Ballkleid, um die Ecke kam, wollte ich sie fragen, ob sie nicht Taufpatin meines erstgeborenen Kindes werden wollte.
»Das ist es! Das ist es!«, hatte sie gerufen und mir aufgeregt den Traum aus hellblauer Seide entgegengestreckt. Armani! Auf ihn war einfach Verlass! Wie passend, in einer italienischen Kreation in Venedig aufzuschlagen.
Schnell schlüpfte ich in das Kleid, Miriam half mir, den Reißverschluss zu schließen.
Als ich vor den Spiegel trat, war ich platt. Dass es angegossen saß, war eine Untertreibung, das Kleid war sozusagen nur für mich entworfen worden, zumindest musste der gute Giorgio sich das genauso vorgestellt haben. Sehr klassisch mit feinen Spaghettiträgern, einem herzförmigen Dekolletee, geradem Schnitt bis zur Taille und einem leicht ausgestellten fließenden Rock, der bis zum Boden reichte. Solche Kleider trug Grace Kelly früher! Das zarte Hellblau passte perfekt zu meinen blauen Augen, den blonden Haaren und dem gesunden goldenen Braunton meiner Haut, den ich mir redlich bei Fahrradtouren im Sommer verdient hatte. Miriam jubelte vor Entzücken, wir fielen uns in die Arme, mein Auftritt auf der Biennale war gerettet, und Clemens würde aus dem Staunen nicht mehr herauskommen – mein Bankberater allerdings auch nicht, denn der Preis machte schnell klar, wie Armani seine Ferienhäuser finanzierte. Egal, man musste wissen, wann es sich lohnte zu investieren, und wenn Armani weiterhin solche Traumkleider entwarf, sollte man sich auch an der Finanzierung seiner Ferienhäuser beteiligen, damit er sich weiter entspannen konnte und nicht vor lauter Überarbeitung auf die Idee kam, Avantgarde zu betreiben und Krepppapierminiröcke zu basteln.
Die passenden Schuhe waren zum Glück schneller gefunden, kurz überlegten Miriam und ich, ob ich eine Stola dazunehmen sollte, entschieden uns dagegen und fanden dafür noch ein paar Ohrringe, die in Chandelierform mit durchsichtigen Brillanten den Look abrundeten. Eine passende Abendtasche hatte ich zum Glück noch zu Hause.
Miriam umarmte mich herzlich zum Abschied und sah so zufrieden aus wie ich, wenn ich eine gelungene Rezension geschrieben hatte.
Frisch geduscht, geschminkt und mit einer zum Glück gelungenen Frisur, stieg ich in das Kleid. Die Wirkung war die gleiche wie beim ersten Mal, als ich mich darin gesehen hatte. Sofort fühlte ich mich unwiderstehlich schön, und obwohl ich weder mit Prinzessinnenkleidern, noch Ballett oder Krönchen aufgewachsen war, verstand ich zum ersten Mal, woher diese Faszination kam. Natürlich war ich schon oft aufgestylt und mit
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