Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Verleiher, Regisseure, Kritiker tummelten sich um die Häppchen und Tabletts mit Drinks, die von hübschen Hostessen im thematisch passenden Outfit zum Thema des Films verteilt wurden. Wenn man einige Jahre dabei ist, kannte man die wichtigen Gesichter. So blieb es nicht aus, dass sowohl Clemens als auch ich immer wieder kurz stehen bleiben mussten, um Kollegen zu begrüßen, Smalltalk zu halten und anschließende Verabredungen in irgendwelchen Restaurants auszuschlagen.
Ich war gerade in ein Gespräch mit Thomas Stömer, meinem früheren Chef bei der Cinema , vertieft, als Clemens sich dazugesellte und ihn kurz begrüßte, natürlich kannten sie sich auch. Er entschuldigte sich höflich, dass er mich für einen Moment entführen müsse, und zog mich hinter eine Säule, wo uns niemand sehen konnte. Bevor ich ein Wort sagen konnte, waren seine Hände überall, er küsste mich heftig, schob meinen Rock hoch, strich mir über die Beine, atmete schneller, hielt abrupt inne, sah mich an und sagte bestimmt:
»Lass uns hier verschwinden, sonst falle ich noch über dich vor allen anderen her. Ich will mit dir in unserem kleinen Restaurant essen und danach Dinge tun, wovon hier alle nur träumen.«
Da ließ ich mich nicht zweimal bitten. Wir verließen als Erste die Party. Vor den Eingängen standen italienische Mädchen, die uns mit sehnsüchtigen Augen anbettelten, ihnen unsere Einladungen zu geben, damit sie sich zu den Stars und Sternchen gesellen konnten, und vor allem, um dem neuen Shootingstar und Mädchenschwarm Robert Shiver nahe zu sein. Mein Bändchen war sehr locker festgemacht, ich schaffte es tatsächlich, es abzustreifen, ohne es zu zerreißen, und einer unendlich dankbaren ragazza zu geben. Clemens bekam seines ebenfalls ab, die Freundin des Mädchens fiel ihm um den Hals, bestimmt dachte sie, er sei auch Filmstar und es könne nichts schaden, ihn vorsorglich zu berühren. Die Begeisterung der beiden Mädchen war rührend, sie erinnerte mich an meine Pubertät, in der ich felsenfest überzeugt gewesen war, einmal die künftige Mrs. Morton Harket, seines Zeichens Sänger bei A-ha, zu werden.
Im Piccolo erkannten uns alle wieder. Piero, der Kellner vom Vorabend, deckte höchst erfreut sogleich einen Tisch am Fenster mit Blick auf den kleinen alten Kanal ein und brachte unaufgefordert eine Flasche des Weins, der mir am besten geschmeckt hatte. Clemens und er begannen sofort, wieder auf Italienisch zu diskutieren, was wir essen würden. Vorspeise, etwas Pasta, Fisch und natürlich Süßes zum Nachtisch. Ein paar Brocken Italienisch verstand ich, in der Schule hatte ich zwei Halbjahre lang einen Italienischkurs belegt, aber so fließend und perfekt wie Clemens würde ich wohl nie sprechen. Nachdem Piero mir aber- und abermals Komplimente für mein Kleid gemacht hatte, zog er los, um uns mit den bestellten Leckereien zu versorgen. Außer uns waren wieder nur Einheimische im Lokal. Ein wahrer Geheimtipp war dieses Restaurant.
Clemens beugte sich näher zu mir und schob Salz und Pfefferstreuer beiseite.
»So, und wie geht es mit uns beiden weiter?«
Am liebsten so wie jetzt für immer, wäre meine spontane Antwort gewesen, die ich natürlich lieber für mich behielt. Offen sprach ich aus, was mir auf dem Herzen lag: dass ich nicht mehr nur seine Kollegin sein wollte, sondern Teil seines Lebens auch Freunden gegenüber, dass mir kein Job der Welt wert war, mich verstecken zu müssen, und dass ich so nicht mehr weitermachen wollte.
»Mir geht’s genauso. Pass auf, ich glaube, wir brauchen einen absehbaren Zeitpunkt, ein Ziel sozusagen, wann wir dieses Versteckspiel beenden, damit wir es besser ertragen. Meinst du, du hältst es noch drei Monate aus? Dann ist das Jahr um, die Phosphor eingespielt, und wir starten offen und ohne Lüge ins neue Jahr.«
Das klang gut, und wieder einmal verstand er mich ohne Erklärung. Wenn ich wusste, dass ich im Januar kündigen konnte und das Ende der Qual absehbar war, schaffte ich die drei Monate spielend und konnte bis dahin noch gut beim Aufbau der Phosphor helfen, mich aber gleichzeitig schon nach einem neuen Job umschauen.
Darauf stießen wir an, mehrmals natürlich. Mein Handy klingelte, ich hatte vergessen, es auf lautlos zu stellen. In Italien schien sich niemand daran zu stören, wenn man im Restaurant telefonierte. Das Handy war zu einem fast natürlichen zusätzlichen Kommunikationsmittel geworden, so als ob man eben elf Finger oder zwei Münder hätte, und wenn
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