Flaschendrehen: Roman (German Edition)
jemand neben einem Gespräch noch sms tippte oder Anrufe entgegennahm, empfand das offensichtlich niemand als störend. Gut, Italiener waren, was die Aufnahmefähigkeit an Mimik, Gestik und Lautstärke eines Gesprächs anging, von jeher Profis gewesen, und so fügte sich das Handy mühelos als neue Tradition ein.
Entschuldigend schaute ich Clemens an, während eine ziemlich aufgekratzte Leila hörbar angeschickert in mein Ohr kicherte.
»Endlich erreiche ich dich mal. Dein Handy ist ständig aus!«
Kein Wunder, wenn man auf einem Filmfestival war und nichts anderes machte, als Filme zu schauen, Interviews zu führen und abends auf Premieren oder essen zu gehen. Da schaltete man eben das Handy mal aus. Leila wollte offensichtlich meine Antwort gar nicht hören, denn sie fuhr gleich fort.
»Stell dir vor, ich hab endlich einen guten Mann kennen gelernt, ich schwör’s! Er heißt Jakob, ist Anfang vierzig, Unternehmensberater, unglaublich seriös und gut aussehend. Und vor allem meint er es ernst. Wir haben uns sogar schon geküsst!«
Das klang wirklich gut und Leila glücklich. Anscheinend waren sie gerade essen gewesen, und er hatte ihr gesagt, dass er sich in sie verliebt hatte, und nun musste sie das mit jemandem teilen. Ich freute mich von ganzem Herzen für sie. Vielleicht lag es am Karma in unserem Haus, dass wir jetzt beide so viel Glück in der Liebe hatten. Wenn dem so war, sollte Sarah schleunigst ihre Zelte im Westen Berlins abbrechen und zu uns ziehen, denn sie war auch schon länger auf der Suche nach einem neuen Freund. Ihre letzte Beziehung zu Paul war nun schon über zwei Jahre her. Zwar hatte sie hin und wieder eine kurze Affäre gehabt, aber verliebt war sie nicht mehr gewesen – okay, einmal abgesehen von Clemens, was aber nicht wirklich zählte und eher als positives Signal gewertet werden konnte, dass sie wieder bereit war, sich zu verlieben und auf eine richtige Beziehung einzulassen. Wo ich gerade an Sarah dachte, fiel mir auf, dass wir die letzten Tage überhaupt nicht gesprochen hatten, was ziemlich ungewöhnlich war, denn üblicherweise sprachen wir fast täglich miteinander. Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen, was war ich für eine treulose Seele. Die Sorte Mädels hatte ich immer gehasst, die, kaum dass sie einen Freund hatten, von der Bildfläche verschwunden waren, um Jahre später, wenn Schluss war mit dem Allerliebsten, wieder aufzutauchen, weil sie eine Schulter zum Ausheulen brauchten. Wenn ich nicht aufpasste, mutierte ich auch zu einer von ihnen. Andererseits war es ebenso seltsam, dass Sarah sich nicht meldete. Vielleicht wollte sie Rücksicht nehmen und nicht stören, oder sie nagte doch mehr daran, dass ich mit Clemens zusammen war, oder sie war mal wieder im Krankenhaus derart eingespannt und schob so viele Bereitschaftsdienste, dass sie vor Müdigkeit nicht sprechen wollte. Wie auch immer, ich schickte ihr sofort eine SMS , nachdem ich mich von Leila verabschiedet hatte.
»Süße, alles klar bei dir? Hab so lange nichts von dir gehört, mache mir Sorgen. Deine treulose Freundin!«
Postwendend kam die Antwort.
»Mir geht’s gut, überarbeitet wie immer, also nichts Neues. Freue mich, wenn du wieder zurück bist. Sarah«
Erleichtert steckte ich das Handy wieder in die Tasche. Clemens, der mich aufmerksam beobachtet hatte, fragte gleich nach, ob alles in Ordnung sei.
Ich nickte.
»Ja, ich hatte so lange nichts von Sarah gehört, aber kein Grund zur Sorge.«
Clemens wusste ja um die komplizierte Situation und war ebenfalls erleichtert.
»Weißt du, ich mag Sarah auch sehr gern. Sie strahlt so viel Selbstbewusstsein aus und steht souverän im Leben.«
Ich wusste genau, was er meinte. Sarah war das, was man unter tough verstand. Viele, vor allem Männer, schüchterte das ein, manche bezeichneten sie als spröde, tatsächlich gab es kaum jemanden, der so viel Sicherheit ausströmte wie sie und einem das Gefühl gab, alles unter Kontrolle zu haben. In ihrer Nähe hatte ich vor nichts Angst, denn wenn jemand wusste, wie man Probleme lösen und das Leben in den Griff bekommen konnte, dann sie.
»Allerdings«, sinnierte Clemens, »allerdings finde ich es lustig, dass ihr beide befreundet seid, denn unterschiedlicher kann man nicht sein.«
Da war er nicht der Erste, der sich das fragte. Aber eigentlich ergänzten wir uns sehr gut. Sie war die Pragmatische, die mich immer wieder auf den Boden zurückbrachte, wenn ich mich in Schwärmereien, Dramen und
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