Flaschendrehen: Roman (German Edition)
ließ, uns die frisch gemachte Panna cotta einzupacken und mit einem verschwörerischen »für später« zu übergeben. Überschwänglich wurden wir von unserem Kellner verabschiedet. Beim Hinausgehen fiel mein Blick auf zwei Frauen, die nicht weit entfernt von uns gesessen hatten, mir aber nicht aufgefallen waren – wie auch, wenn man mit Clemens beim Essen war. Die eine mit den hochgesteckten Haaren kam mir seltsam vertraut vor, bei näherem Hinschauen wusste ich, weshalb. Es handelte sich um Ilona Richter, die mit einer Freundin, Mitarbeiterin oder Geschäftspartnerin in ein Gespräch vertieft war. War es Zufall, oder war Ilona Richter wirklich so besessen, die Konkurrenz bis in ein Restaurant zu verfolgen, um eventuell interessante Themen aufzuschnappen? Oder war sie so hartnäckig, dass sie versuchte, mich mit allen Mitteln abzuwerben? Wer weiß, vielleicht hatte sie mich auf dem Klo mit einem unterschriebenen Blankoscheck abpassen wollen. Mit einigen Gläsern Wein und Prosecco intus sah man eine solche Situation von der lustigen Seite. Am liebsten wäre ich an den Tisch getreten und hätte gerufen: »Nur noch drei Monate, Frau Richter, dann können sie mich haben!«
Natürlich dachte ich nicht im Traum daran, zu Zeitgeist abzuwandern, ich konnte doch nicht die Phosphor mit aufbauen und dann zur Konkurrenz gehen. Das würde ich Feline und Clemens nie antun.
Vor der Tür stieß ich Clemens in die Seite.
»Hast du sie nicht gesehen? Da saß die Richter!«
Clemens war sprachlos, schüttelte den Kopf und murmelte: »Die hört auch nie auf. So was Verbissenes!«
Allerdings, aber wen interessierte das im Moment? Es war Ende September, eine laue Nacht – und ich bis über beide Ohren verliebt unter einem klaren Sternenhimmel in Venedig. Ich war so sehr in Clemens verliebt, dass es beinahe Angst machte.
Auf dem Rückweg konnten wir weder Augen noch Hände voneinander lassen. Im Hotelzimmer machten wir kein Licht an, ich stellte mich ans Fenster und sah auf das offene Meer hinaus. Clemens umarmte mich und küsste zärtlich meinen Nacken. Auf einen Schlag war ich sentimental und wollte nie wieder zurück nach Berlin, sondern an diesem wunderbaren Ort bleiben, alles sollte immer so sein wie jetzt, ohne Redaktion, ohne Kolleginnen, die allesamt in Clemens verknallt waren, und ohne Arbeitsstress und den sich nähernden Winter.
Vom Garten herauf drang leise die Musik von In the mood for love , die eine Swingkapelle für die Gäste spielte. Dies war der perfekte Moment, kein Film, kein Buch könnte es besser vorsehen, beschreiben. Das reale Leben übertraf jede Vorstellung, jede Hoffnung, die ich je gehegt hatte. Mein Magen krampfte sich zusammen, und zum ersten Mal fühlte ich, dass die Liebe und das Glück Angst einjagen können.
»Was ist? Du bist so nachdenklich?«, fragte Clemens leise.
»Hast du schon mal einen Augenblick erlebt, der so stimmig und vollkommen ist, dass du intuitiv spürst, dieser Augenblick setzt Maßstäbe für dein weiteres Leben, und alles, was du noch erleben wirst, wirst du an diesem einen Moment messen?«
Er drehte mich zu sich um.
»Ja, habe ich. Seit ich mit dir hier bin!«
Wir hielten uns so fest, dass ich nicht mehr atmen konnte. Und endlich sagte ich, was ich eigentlich seit dem ersten Moment, in dem ich Clemens traf, gefühlt hatte, mich bisher aber nicht getraut hatte auszusprechen.
»Ich liebe dich Clemens. Ich liebe dich so sehr, dass es mir Angst macht. Das ist mit nichts vergleichbar.«
Er sagte darauf nichts, sondern sah mich einfach nur an. In seinem Blick lag die Antwort, er musste nichts sagen, wir verstanden uns auch so.
Bevor ich mich versah, nahm er meine Hand, hielt sie gegen seine Brust, in der es heftig pochte.
»Spürst du meine Liebe?«
Ich nickte stumm, dann legte er seine Hand auf mein Herz, das genauso schnell schlug.
»Und hierfür lebe ich, für dein Herzschlagen!«
Und genau selbiges Herzschlagen setzte vor lauter Schreck und Freude für einen kurzen Moment aus.
Berauscht, trunken von Gefühlen, völlig benebelt ließ ich mich in seine Arme fallen und war verloren, hoffnungslos verloren an Clemens, den Einzigen.
Vor einigen Jahren las ich, dass frisch Verliebte die gleichen Gehirnströme auf einem CT -Bild aufweisen wie Menschen, die unter einer Psychose leiden. Anscheinend ist das der Grund, weshalb die erste Verliebtheit auch nicht für immer anhalten kann, weil wir auf Dauer einfach nicht lebensfähig wären oder eben nur eingeschränkt.
Auf
Weitere Kostenlose Bücher