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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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romantischen Hirngespinsten verlor. Trotzdem interessierte mich, wie Clemens unsere Freundschaft sah.
    »Wie meinst du das? Was findest du denn so unterschiedlich?« Dass unser Background ein komplett unterschiedlicher war, wusste ja jeder. Ich mit den kiffenden Hippieeltern ohne wirkliche Regeln, sie mit den pflichtbewussten, wohlhabenden Mittelstandseltern, die genau wussten, wann Sperrmüll abgeholt wurde, und sonntags nie Wäsche wuschen.
    Äußerlich waren wir auch unterschiedlich, aber davon mal abgesehen hatten wir auch viel, das uns verband – eine gemeinsame Kindheit und Jugend! Wer konnte das schon vorweisen? Außerdem ergänzten wir uns perfekt!
    Clemens lächelte.
    »Na, du bist so niedlich, süß, romantisch auf der Suche nach dem einzig Wahren, der großen Liebe, ein einziger Gefühlsmensch. Du schreibst nicht nur über Filme, du lebst das. Ich möchte nicht wissen, wie oft du dir dein eigenes Leben in filmische Szenen einteilst oder dir überlegst, wer dich spielen würde, wenn dein Leben verfilmt würde. Bestimmt denkst du auch darüber nach, mit welcher Musik du die Szenen unterlegen würdest.«
    Keinen Zweck zu leugnen, er hatte mich durchschaut! Inzwischen war ich alt genug und schlau genug zu verstehen, warum ich so war. Meiner Meinung nach gab es genau zwei ausschlaggebende Gründe: zum einen mein Aufwachsen in einer Familie, die für die freie Liebe und offene Beziehungen gewesen war, auch wenn meine Eltern all das zum Glück nicht tatsächlich gelebt hatten. Doch ich war von ihrer Einstellung geprägt. Mich hatte diese Art Freiheit, jeder darf, kann, soll mit jedem, von Anfang an abgestoßen. Anstatt es befreiend zu finden, machte es mir Angst, die Liebe zu einem Menschen wurde dadurch beliebig und austauschbar. Als ich in das Alter kam, in dem ich begann, mich für Jungen zu interessieren, waren mir Treue und Einzigartigkeit sehr wichtig. Ich glaubte mehr als alle anderen Mädels in meiner Klasse, dass es den einen Richtigen gab, der durch niemanden ersetzbar war. Dieser sehr romantische Ansatz wurde durch meine Leidenschaft für Filme nur verstärkt – und woher die kam, brauchte ich auch nicht lange zu überlegen. Filme waren von jeher meine Flucht aus dem Alltag gewesen und halfen mir, mich in eine andere Welt zu wünschen, wenn bei uns zu Hause mal wieder alles anders war als bei anderen. Auch Familienserien wie die Cosbys hatte ich nur allzu gern geschaut, im Grunde sehnte ich mich nach einer ganz normalen Familie. Natürlich liebe ich meine Eltern. Immer hatten sie ein offenes Ohr für mich gehabt, und ihr Erziehungsstil hatte bestimmt sogar viele Vorteile und gute Seiten, aber wenn man als Teenager cool sein möchte, und das hieß zu meiner Zeit nun einmal in erster Linie nicht durch ultrahippe Eltern aufzufallen, gibt es nichts Schlimmeres als Vater und Mutter, die in der Fußgängerzone für die Abschaffung des Paragrafen § 218 demonstrierten, anstatt im Tennisclub Bälle zu schlagen.
    »Hallo? Langweile ich dich, oder schläfst du jetzt mit offenen Augen?« Clemens wedelte mit seiner Serviette vor meinen Augen herum. Vor lauter Abschweifungen in die Vergangenheit war mir entgangen, dass ich seit einigen Minuten nichts gesagt hatte, sondern nur ins Leere blickte.
    »Da hab ich wohl einen Nerv getroffen«, schmunzelte Clemens.
    Allerdings.
    »So, und jetzt setze ich noch einen drauf und sage dir auf den Kopf zu, dass du genau aus diesem Grund fast dein ganzes Leben in Ben verliebt warst. Er ist nämlich mit seiner Nähe-Distanz-Nummer die perfekte Projektionsfläche für junge romantische Mädchen, wie du es warst und in deinem Herzen immer noch bist. Der coole, undurchsichtige, nachdenkliche Ben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie seine Art auf einige Jahre jüngere Mädchen gewirkt haben muss. So einen hatte jeder an seiner Schule. Der unverstandene Steppenwolf, von den Jungs bewundert, von den Mädchen heimlich und unbemerkt geliebt. Stimmt’s?«
    Clemens wurde mir unheimlich, es war, als ob er mein Innerstes nach außen wenden konnte.
    »Ja, du hast wahrscheinlich Recht. Aber lass uns doch an so einem schönen Abend nicht über Ben sprechen. Seit ich dich kenne, gibt es keinen Ben mehr für mich. Du hast das mit einem Schlag ausgelöscht!«, ließ ich mein Gefühlsvisier runter.
    Clemens streichelte meine Hand und sah ziemlich glücklich aus.
    »Komm, wir lassen den Nachtisch ausfallen.« Er warf mir einen verliebten Blick zu und winkte Piero herbei, der es sich nicht nehmen

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