Flaschendrehen: Roman (German Edition)
mich traf die wissenschaftliche Beobachtung im vollen Umfang zu, ich merkte selbst, wie ich nur noch lächelte, jeden anstrahlte, träumte, nicht ansprechbar war und eigentlich nur ein Thema hatte, und das hieß Clemens.
Nach der Nacht der Wahrheit war alles noch intensiver zwischen uns geworden. Der einzige Schatten, der sich auf unser Glück legte, war der, dass Clemens nicht die ganze Festivaldauer bleiben konnte. Zehn Tage waren einfach zu lange, das konnte selbst Clemens vor Feline nicht begründen. Denn seine Termine waren alle in ein paar Tagen zu erledigen, wohingegen ich natürlich bis zum Ende bleiben musste, um alle Filme gesehen zu haben und später die Festivalbeilage schreiben zu können.
Außerdem standen für Clemens in nächster Zeit verschiedene Dienstreisen an, die vorbereitet werden mussten.
So packte er am fünften Tag seine Sachen zusammen und machte sich schweren Herzens auf den Weg Richtung Berlin. Ich blieb zurück und vermisste ihn jede Minute fast körperlich. Das Leben war viel leichter, spannender und bunter, wenn er da war.
Nachdem ich Rudi stundenlang am Telefon voll geheult hatte, wie sehr ich Clemens vermisste und dass das Festival keinen Spaß mehr mache, hatte er offensichtlich genug. Unverblümt sagte er mir, was er von meinem Gejammer hielt.
»So, und jetzt reicht’s dann auch mal wieder, Schwesterherz! Was willst du eigentlich noch? Du hast ihn doch bekommen, deinen Clemens, also freu dich und hör auf, dich als Dramaqueen aufzuspielen, nur weil du ihn ein paar Tage nicht siehst. So kenn ich dich gar nicht! Pass auf, dass du nicht zur Klette mutierst, und vergiss nicht, dein eigenes Leben zu leben. Mann, du bist in Venedig, auf deinem Lieblingsfestival, hast gerade super Tage verlebt und darfst noch länger bleiben und das Filmgeschäft genießen. Vielleicht konzentrierst du dich mal auf die positiven Seiten und darauf, wie viel Glück du hast!«
Kleinlaut gab ich ihm Recht. Manchmal schoss ich eben übers Ziel hinaus, oder sagen wir so, ich konnte mich gut in Menschen, Situationen einfühlen, was aber manchmal den Nachteil hatte, dass ich mich in manches zu sehr hineinsteigerte. Ein Glück, dass ich einen älteren Bruder hatte, der mich nur zu gut kannte und wusste, wann mal wieder ein Denkanstoß nötig war.
Ich riss mich zusammen, verbrachte die letzten Tage damit, mich auf die Filme, Interviews und Artikel zu konzentrieren, und dachte natürlich ständig an Clemens, telefonierte so oft es ging mit ihm und konnte das Wiedersehen trotz allem kaum abwarten.
Am letzten Tag packte ich wehmütig meine Koffer, ging noch mal durch das Hotel und prägte mir alles so gut wie möglich ein.
Zusammen mit einigen anderen Hotelgästen brachte Salvatore uns mit dem Boot zum Flughafen. Ich blickte ein letztes Mal zurück und seufzte. Auf Berlin freute ich mich mäßig, Clemens war unterwegs, wir würden uns erst Ende nächster Woche wieder sehen und auch nur für zwei Tage, denn dann musste er schon weiter zur Frankfurter Buchmesse.
Die Lufthansa-Maschine war bis auf den letzten Platz ausgebucht, hauptsächlich mit rückkehrenden Festivalbesuchern. Die meisten kannte ich schon vom Hinflug. Witzigerweise waren sogar die Stewardessen dieselben, was mir noch nie zuvor passiert war. Obwohl ich mich als frequent traveler bezeichnen konnte, in meiner Branche musste man flugtauglich sein, hatte ich noch nie eine Stewardess ein zweites Mal auf einem Flug gehabt. Der Flug war einigermaßen ruhig, nur über den Alpen gab es die üblichen Turbulenzen. In Tegel am Gepäckband starrte ich geistesabwesend auf die eintrudelnden Koffer.
»Sie schon wieder? Das ist ja ein Zufall oder fast schon Schicksal, so oft, wie wir uns über den Weg laufen.«
Neben mir stand, wie konnte es anders sein, Ilona Richter. Müde, wie ich war, hatte ich überhaupt nicht bemerkt, dass sie sich neben mich gestellt hatte und auf ihre Louis-Vuitton-Koffer wartete, drei an der Zahl!
Oh, jetzt bitte nicht ein zweiter Abwerbungsversuch, so fertig, wie ich war, unterschrieb ich aus Versehen noch einen Vertrag samt Abo und KFZ -Versicherung. Aber sie schien mir etwas anderes sagen zu wollen, denn sie zog mich zur Seite, sah mich eindringlich an und sagte laut und vernehmlich:
»Ich möchte Ihnen einen Rat geben, denn ich halte Sie für sehr fähig und sehe Ihr Potenzial. Achten Sie darauf, Berufliches und Privates strikt zu trennen. Ich kenne die Branche und ihre Vorurteile nur zu gut, was glauben Sie, was man mir alles
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