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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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Cola vor der Tür. Kohlehydrate und Zucker waren das Richtige in meiner Gemütslage, befand er, und streckte mir die Imbisspizza hin, die sogar lecker schmeckte.
    »Magst du Wein? Soll ich eine Flasche aufmachen?«, fragte ich ihn.
    Entsetzt wehrte er ab.
    »Mit Depri nie trinken, du weißt nicht, ob es nicht schlimmer wird. Cola oder Tee von mir aus, aber ja keinen Alkohol. Mann, sag bloß, das weißt du nicht! Zum Glück hast du ’nen großen Bruder!«
    Allerdings! Dieser setzte sich an den Küchentisch, aß ein Stück Pizza und begann, mir zuzuhören, ohne mich zu unterbrechen. Als ich fertig war, sah er mich streng an und setzte zu einer »Der große Bruder sagt dir jetzt mal, wie der Hase läuft«-Rede an.
    »Pass auf, ich versteh, dass die letzte Zeit aufregend war. Du bist umgezogen, hast einen neuen Job, einen neuen Freund, den du geheim halten musst und hinter dem halb Berlin her ist, die andere Hälfte will ja mich, wie du weißt. Deine beste Freundin und du seid in den gleichen Kerl verknallt, es gab einige komische Situationen mit Ben, und du arbeitest momentan zu viel wegen der Konkurrenz, die auch schon versucht hat, dich abzuwerben.
    So, und jetzt tritt mal einen Schritt zur Seite und freu dich. Du bist endlich in Berlin, wo du schon als Teenager immer hinwolltest, ich und einige Menschen, die dir superwichtig sind, leben hier, du hast tolle neue Menschen kennen gelernt, denk an Leila oder Michi, auch wenn die in Clemens verknallt ist. Du hast ’nen Hammerfreund, und richtig gute Männer sind eben umkämpft, aber, hey, das wird dich doch nicht abschrecken. Überleg mal, durch welche Schule du gegangen bist? Dein Job macht dir Spaß, du hast keinen Grund, schlecht drauf zu sein, außer einem …«
    »Außer einem?«, fragte ich neugierig.
    »Ja, da hast du dir so sehnlich gewünscht, mit diesem super Typen Clemens zusammenzukommen, und jetzt hat es zu allem Übel auch noch funktioniert, und du hast Angst, es könnte nicht halten, stimmt’s? Ich meine, du hattest zwar einige Freunde, aber wenn wir ehrlich sind, wolltest du früher nichts so sehnlich, als mit Ben zusammen zu sein. Das hat nie geklappt, also musstest du es auch nie leben oder in den Alltag integrieren. Deine Gedanken reichten immer nur bis zu dem Punkt, in dem der Film oder jedes Märchen aussteigt, nämlich bis zu dem Moment, in dem sie sich kriegen. Bis dahin kennst du dich aus, aber nicht, wie es weitergeht, wie man das am Leben hält, wie man eine Beziehung mit jemandem führt, der einem richtig wichtig ist, bei dem man Verlustangst verspürt.«
    Während Rudi sprach, spürte ich, dass er mit allem, was er sagte, Recht hatte. Ich hatte den Hauptgewinn gezogen und wusste nicht damit umzugehen. Wenn ich Clemens nicht sah oder er mir keine Aufmerksamkeit und Liebesbezeugungen schenkte, war ich sofort verunsichert und bekam Angst, etwas falsch gemacht zu haben. Und jetzt versuchte ich, mein Bedürfnis nach Sicherheit auf Freunde und meine Familie zu übertragen.
    Rudi steckte sich zufrieden das letzte Stück Pizza in den Mund und ging zu seiner abschließenden Betrachtung über.
    »So, Problem erkannt, aber wie gebannt? Ja, du hast ja zum Glück einen großen Bruder, der sich nicht nur mit Frauen auskennt, sondern auch das Geheimnis, solche Jungs wie Clemens zu halten. Ich sag einfach nur Prada-Stiefel!«
    Die Parabel von den Prada-Stiefeln verfolgte mich, seit ich Clemens kannte.
    »Du willst mir also sagen, ich soll mich auch in der Beziehung rar machen, obwohl er jetzt weiß, dass ich ihn liebe?«
    Rudi verschluckte sich fast vor Aufregung.
    »Na klar, jetzt erst recht! Das ist die einzige Möglichkeit, das Interesse wach zu halten und immer einen Rest Geheimnis zu bewahren. Gib ihm viel, aber nie alles. Er muss immer ein leichtes Hungergefühl verspüren, was dich angeht.«
    Mein Verstand sagte mir, dass, so absurd diese Taktik klang, sie wahrscheinlich funktionierte, aber wollte ich das? Mein Gefühl riet mir, keine Spielchen. Was war das denn für eine Beziehung, wenn ich mich nicht so verhalten durfte, wie ich mich fühlte?
    Rudi sah mir meine Zweifel an.
    »Du musst dich natürlich nicht danach verhalten. Aber es funktioniert, glaub mir!«
    Das hielt ich durchaus für möglich, aber so wollte ich nicht weitermachen. In der Anfangsphase der Jagd schien es mir ein probates Mittel, aber jetzt wollte ich doch eher durch Offenheit und Ehrlichkeit auch in puncto Gefühlen bestechen.
    »Gibt es denn keine andere Möglichkeit?«

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