Flaschendrehen: Roman (German Edition)
ich mich durch die lärmende Masse nach oben durchboxte. Ich war sofort nach Hause gefahren, in mein blumiges, unverändertes Mädchenzimmer unterm Dach. In meinem alten CD -Player hatte immer noch eine CD von The Cure gelegen, die ich damals gehört hatte, als ich ausgezogen war, um an die Uni zu gehen.
Gespannt hatte ich sie gegen Bens CD ausgetauscht. Als ersten Song hatte er Colorblind von den Counting Crows aufgenommen. Der Song und Text hatten etwas Verzweifeltes, fast Flehendes, vor allem die Zeilen »I am covered in skin … No one gets to come in … Pull me out from inside …« In dieser Art ging es weiter von Tom Waits Martha über Jeff Buckley bis hin zu den Czars. Die Musik und die Auswahl waren wunderschön melancholisch und passten perfekt in die Jahreszeit.
Leila kam aus der Küche und riss mich aus meinen Gedanken an meinen Weihnachtsbesuch zu Hause, indem sie mir einen Stapel Teller in die Hand drückte und mich bat, den Tisch zu decken. Sie war zwar traurig, dass ihr Jakob nicht mitfeiern konnte, ließ sich aber nichts anmerken, allein schon wegen Mimi, und stürzte sich in die Arbeit, was immer als todsicheres Ablenkungsmanöver funktionierte.
Rudi gab sich alle Mühe, heitere Stimmung zu verbreiten, er half Leila in der Küche und füllte sie kaum merklich mit Champagner ab, was sich am zunehmenden Kichern bemerkbar machte.
Ich blies gerade einen Luftballon auf, als Clemens genervt anrief.
»Gretchen, ich stecke in Heathrow fest. Wir haben Nebel, und ich hab keine Ahnung, wann wir losfliegen können. Auf der Anzeigetafel steht, dass wir etwa zwei Stunden Verspätung haben, was bedeutet, ich würde erst gegen elf in Tegel landen. Ich kann’s echt nicht glauben, ausgerechnet an Sylvester!«
Was für ein schlechter Scherz, den das Universum uns spielte. Na ja, noch war ja nicht alles verloren, Hauptsache, mein Aschenputtel war um Mitternacht hier. In dieser Hinsicht war ich sehr altmodisch, denn wenn ich schon endlich den Mann fürs Leben gefunden hatte, wollte ich ihn zumindest um zwölf zu Auld Lang Syne küssen und nicht wie sonst von alkoholisierten Grapschern unter dem Vorwand, zum neuen Jahr gratulieren zu wollen, die Zunge in den Hals gesteckt bekommen, während dessen Frau oder Freundin gerade mit einer Wunderkerze beschäftigt war.
»Alles klar?«, fragte Sarah. Sie hatte zumindest bis zwölf keinen Dienst, musste dann aber los, um die Nachtschicht im Krankenhaus zu übernehmen.
»Clemens steckt in Heathrow fest, es kann sein, dass er es nicht rechtzeitig her schafft!«
Musste dieser Mensch auch immer unterwegs sein und alle Freunde und Familie über den gesamten Globus verstreut haben. Ab heute war ich überzeugte Globalisierungsgegnerin, meine Mutter hatte eine Mitstreiterin mehr und durfte mir gleich ein Transparent mitbasteln.
Leider konnte ich den Gedanken, wie meine Mutter und ich einträchtig mit Megaphon einen Demonstrationszug anführten, nicht weiter spinnen, auch wenn ich mir sicher war, dass meine Mutter vor Stolz platzen würde, denn an der Tür hatte es geklingelt, die ersten Gäste trudelten ein.
Sofort machten Sarah und ich mit den vorbereiteten Tabletts die Runde und boten den wahnsinnig gestylten Menschen, alles Freunde und Bekannte, Aperitifs an. Kein Wunder, die meisten stammten aus der Modebranche. Rudi war im siebten Himmel, denn Leila hatte auch zwangsläufig Models im Freundeskreis, von denen einige gekommen waren, und auch noch solo!
Sarah sah amüsiert zu, wie Rudi mit einem großen rothaarigen Model flirtete.
»Manchmal kann ich wirklich nicht glauben, dass ihr Geschwister seid, du mit deiner Suche nach dem einzig Wahren und Rudi auf der Suche nach möglichst vielen. Meinst du, Rudi wird je bindungsfähig werden?«
Bis vor kurzem hätte ich automatisch den Kopf geschüttelt und vehement verneint, das war, bevor mir Rudi gestanden hatte, dass sein Herz sehr wohl für nur eine schlug. Ich zog Sarah beiseite und sagte ihr im Vertrauen, was Rudi gesagt hatte. Sie schaute mich genauso ungläubig an wie ich damals Rudi.
Aufgeregt bohrte sie weiter.
»Ja, und wer ist sie? Kennen wir sie? Das ist ja total niedlich! Hätte ich Rudi nie zugetraut!«, freute sich Sarah, die Rudi trotz seiner Fehler natürlich sehr gern mochte.
Leider musste ich zugeben, dass mein Spionagetalent kläglich versagt und ich weder mit Versprechungen noch Drohungen aus Rudi herausbekommen hatte, wer seine Herzensdame war.
»Aber ich habe eine Vermutung!«, sagte ich und schaute
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