Flaschendrehen: Roman (German Edition)
aber eigentlich hatte ich das Gefühl, dass es ihr gefiel, wie mein Vater sich nicht unterkriegen ließ und ihren Eltern die Stirn bot.
Das war das eine fragwürdige Highlight gewesen, und das andere: dass ich in unserer alten Stammkneipe erstmals seit dem Beinahekuss wieder auf Ben getroffen war.
Im Libero war wie jedes Jahr die Hölle los gewesen. Sofort hatte ich mich in meine Gymnasialzeit zurückversetzt gefühlt. Die Rauchschwaden waren weniger geworden, anscheinend rauchten nicht mehr so viele wie früher, aber die Getränkekarte und die Einrichtung sahen unverändert aus und kurz davor, wieder in Mode zu kommen. Rudi und Ben waren bereits von den üblichen Verdächtigen umringt gewesen. Wie gut konnte ich mich an alle die Mädels erinnern, und wie sehr hatte ich es gehasst, wenn sie es geschafft hatten, mit Ben etwas anzufangen, selbst wenn es nicht lange hielt, weil Ben wieder Zweifel hatte und nach der einzig Richtigen suchte.
Mein Atem war ungewollt schneller gegangen, was daran lag, dass ich Ben seit diesem verwirrenden Moment nicht wieder gesehen hatte. Zufällig drehte er den Kopf in meine Richtung, sah mich und hielt einen Moment lang inne. Im Film hätte die Kamera sein Gesicht rangezoomt, um seinen erschrockenen und gleichzeitig undurchsichtigen Blick festzuhalten. Er, der mir vor ein paar Wochen die Haare aus dem Gesicht gestrichen und versucht hatte, mich zu küssen, sah mich einfach nur an. Sarah hatte die Situation gerettet, indem sie Ben um den Hals gefallen war, der aus seiner Starre erwachte und ihr frohe Weihnachten wünschte. Ben hatte erfreut gelacht und zwei Geschenke hervorgeholt. Eines gab er Sarah, das andere hielt er mir hin.
Ungeschickt hatte ich mich bedankt, ihm mein Geschenk hingestreckt, darauf bedacht, jeden Körperkontakt zu vermeiden, man konnte nie wissen. Ben hatte mein Geschenk ausgewickelt und sich sichtlich über Die Anatomie der Melancholie gefreut.
Sein Geschenk war eine selbst gebrannte CD . Es stand einfach nur Gretchen auf der selbst gestalteten Hülle, ohne weitere Angaben, was drauf war, typisch Ben, immer schön die Spannung halten. Neben mir hatte ich plötzlich eine altbekannte und unangenehm durchdringende Stimme vernommen.
»Na, wenn das nicht Gretchen Fingerhut ist! Kann ja nicht weit weg sein, wenn Ben in der Nähe ist. Ja, manche Sachen scheinen sich nie zu ändern.« Die Stimme gehörte Yvonne Metzel, meiner ehemaligen Erzfeindin auf dem Gymnasium. Sie hatte Recht, manche Sachen schienen sich nie zu ändern, meine Abneigung ihr gegenüber auf alle Fälle nicht.
Yvonne war früher ebenfalls hinter Ben her gewesen, doch im Gegensatz zu mir hatte sie es geschafft, Ben auf einer Engtanzparty zu küssen, was ihr jahrelanger Triumph mir gegenüber gewesen war. Keine Ahnung, weshalb Yvonne sich ausgerechnet mich als Feindin ausgesucht hatte, denn anders konnte man es nicht bezeichnen, aber ob ich wollte oder nicht, ab der siebten Klasse wurde jede Note, jede Klamotte, jeder Auftritt in der Theatergruppe, einfach alles, was ich tat, entweder kopiert, torpediert oder belästert. Gelassen hatte ich mich umgedreht und sie zuckersüß angelächelt. Was ich sah, hatte mich noch viel mehr lächeln lassen. Yvonne war aufgegangen wie ein Hefeteilchen und war inzwischen Ulla-Popken-Stammkäuferin. Leider hatten die Pfunde mehr auf den Hüften die schnelle Alterung im Gesicht und die Faltenbildung nicht verhindern können. Das war Strafe genug, und ich hatte mir einen Kommentar verkniffen.
»Hast du eigentlich die Bücher gelesen, die ich dir letztens mitgegeben habe?«, hatte Ben betont locker gefragt.
Mein Magen hatte sich ungewollt zusammengekrampft. Wie konnte er so mir nichts, dir nichts über die beiden Bücher sprechen, die er mir an besagtem Abend mitgegeben hatte, aber über den Abend selbst kein Wort verlieren? Vielleicht lag es an der Umgebung, den altbekannten Gesichtern, aber irgendwie war ich mir in eine Zeitreise versetzt vorgekommen, die bekannte Gefühle von Abweisung in mir weckte.
»Nein, die Bücher hab ich noch nicht gelesen, aber über die Feiertage fange ich an!«, hatte ich verkrampft geantwortet und vermieden, ihn anzusehen.
Ben hatte sich sofort abgewendet und sich wieder Rudi zugedreht, der versuchte, sich an den Namen eines Mädels zu erinnern, mit der er in der Oberstufe immerhin ein paar Monate zusammen gewesen war.
»Sie heißt Ines, und du hast sie wegen Caro verlassen!«, flüsterte ich ihm als Gedächtnisstütze ins Ohr, während
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