Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
Vom Netzwerk:
heraus.
    Rudi, der eine Verspätung befürchtete und all seine Felle davonschwimmen sah, was das Abschleppen ehemaliger Jugendlieben betraf, hatte versucht, meinen Vater auf die Kumpeltour zu ködern.
    »Hey, Frank. Steig ein. Wir lassen dich kurz vorher raus, dann läufst du die letzten Meter, und wir sagen, du bist ohne Auto gekommen, okay?«
    Sein Vorschlag war weit davon entfernt gewesen, okay zu sein. Im Gegenteil, er ließ meinen Vater nur noch wütender werden. Ob er seinen Sohn zu einem Heuchler ohne Rückgrat erzogen habe, schrie er, was meine Mutter auf den Plan rief, die sich immer für Rudi ins Zeug warf, sie war seinem Charme seit seiner Geburt erlegen.
    Im Prinzip war so ein Familienstreit an Heiligabend nichts Neues, aber dass er unbedingt stattfinden musste, bevor wir überhaupt beim ausgemachten Feind aufschlugen, und das auch noch bei Minusgraden, war mir dann doch zu doof gewesen. Außerdem war ich für dieses Wetter viel zu leicht angezogen und wollte mir auf keinen Fall eine Blasenentzündung zuziehen und Sylvester flachliegen.
    »Also ich fahr jetzt los. Wer mitwill, steigt jetzt ein, der Rest schaut selbst zu, wie er hinkommt.« Verdutzte Gesichter verfolgten, wie ich mich in meinen Wagen setzte. So schnell konnte ich gar nicht hinsehen, da waren Rudi und meine Mutter zum Auto gesprungen und nahmen ihre Plätze ein. Kein Wunder, bei der Kälte vergaß man sogar verwandtschaftliche Beziehungen.
    »Was ist, Papa, kommst du auch?«, hatte ich meinem Vater zugerufen, der unentschlossen zwischen meinem Auto und seinem Fahrrad dreinblickte. Natürlich wollte er nicht mehr einsteigen, das verstieß gegen all seine Überzeugungen und all das, wofür er jahrzehntelang gekämpft hatte.
    Meine Mutter hatte noch ein letztes Mal versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, und malte ihm aus, welche Krankheiten oder Stürze er sich zuziehen konnte, was er nur mit einem verächtlichen »Pah« wegwischte. Rudi beschloss schließlich, dass Frank alt genug sei zu wissen, was er macht, und so fuhren wir los.
    Mit schlechtem Gewissen und einer halben Stunde Verspätung kamen wir bei meinen Großeltern an, die nichts so sehr hassten wie Unpünktlichkeit. Als sie den Grund der Verspätung erfuhren, tobte mein Großvater los und hielt uns Vorträge, wie schwer es sich gestaltete, das Essen, das sowieso schon immer eine Krux wegen der komischen Lebensmittelallergien meines Vaters war, warm zu halten.
    »Bei uns gibt es keinen Eintopf, sondern ein auf die Minute abgestimmtes Fünfgangmenü!«, hatte er lautstark losgebellt.
    Wir hatten schließlich beschlossen anzufangen, man wusste ja nicht, ob und wie mein Vater gedachte herzukommen und wie lange es dauerte.
    »Wenigstens hat er schon den Hirseauflauf gegessen«, beruhigte meine Mutter sich selbst und widmete sich der geschäumten Kürbiscremesuppe.
    Vom vielen Trinken musste ich dringend mal zur Toilette, ich entschuldigte mich. Während ich mir in der großzügig geschnittenen Gästetoilette die Hände abtrocknete, hörte ich ein leise heranrollendes Auto durch das gekippte Fenster, was mir um diese Uhrzeit und an Heiligabend ungewöhnlich vorkam. Ich linste durch die Spalte des Fensters und musste lachen. Die Kälte hatte selbst meinen prinzipientreuen Vater in die Knie gezwungen, denn der stieg aus dem Taxi, das ohne Scheinwerferlicht in die Straße gefahren sein musste, gab dem Fahrer Geld und machte ihm Zeichen, leise und ohne Motor weiterzurollen.
    Was ich dann sah, toppte alles. In der Dunkelheit hatte ich nicht bemerkt, dass er aus dem Kofferraum des Taxis sein Fahrrad geholt haben musste, das er jetzt die Auffahrt heraufschob. Vorsichtig blickte er sich um, nahm Schnee in die Hand und rieb sich damit mehrmals die Wangen ein, bestimmt, damit sie authentisch kalt und rot wurden. Etwas Schnee auf die Haare, dann war er bereit zu klingeln und seinen Auftritt als unbeugsamer Held aus der Kälte zu haben. Von mir würde niemand ein Wort erfahren!
    Gerade rechtzeitig war ich zurück gewesen, um mitzubekommen, wie Frau Pfleger, die Haushälterin meiner Großeltern, die Tür öffnete und mein Vater lautstark bemerkte, wie arschkalt es draußen sei!
    So sprach er nur und absichtlich bei meinen Großeltern, die Kraftausdrücke verabscheuten, was mein Vater nur zu gut wusste und deshalb gern das ganze Repertoire ausschöpfte, vor allem an Heiligabend.
    Meine Mutter war sofort um die Ecke geflitzt, hatte das Fahrrad gesehen und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen,

Weitere Kostenlose Bücher