Flaschendrehen: Roman (German Edition)
doch nicht bitten! Was hat sie gesagt?«
Sarah sah aus, als ob sie ernsthaft nachdächte, ob sie es mir erzählen sollte.
Ich boxte sie auffordernd in die Seite.
»Ja, is ja gut. Sie sagte mir, dass ich einen sehr turbulenten Start ins Jahr haben würde und dass man, wenn man an manchen Sachen zu nah dran ist, nicht sieht, was tatsächlich passiert, und mir Abstand zu einigen Dingen gut tun würde. Aber alles in allem solle ich mir keine Sorgen machen, denn meine große Liebe würde ich finden, sogar in diesem Jahr noch, wichtig sei nur einen Schritt zur Seite zu treten, und außerdem soll ich mir meinen Pragmatismus bewahren, komme, was wolle.«
Für mich klang das nach Wischiwaschi und sehr allgemein gehaltenem Horoskop-/Tarotgerede, keine Ahnung, was Sarah an diesen Worten so verstört haben konnte. Da hätte sie sich meine Prophezeiung mal im Gegensatz dazu anhören sollen.
Sarah packte benommen ihre Sachen zusammen, irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass Birgit ihr noch etwas anderes gesagt haben musste.
Sarah verabschiedete sich von allen, ich brachte sie zur Tür und bedauerte, dass ich ohne sie anstoßen musste.
»Morgen nach der Bereitschaft muss ich erst mal schlafen, aber wie sieht’s am Zweiten aus? Wollen wir uns treffen?«, schlug sie vor.
Theoretisch nichts lieber als das, aber ich hatte ab dem zweiten Januar Vollgas für unser Sonderheft zu geben, das Mitte Januar erschien, die komplette Redaktion war wieder da, um das Extraheft zu stemmen. Feline kam ab dem dritten Januar wieder ins Büro. Bei dem Gedanken, sie um einen Termin zu bitten und zu kündigen, wurde mir kurz schlecht. Außer Clemens und mir wusste immer noch niemand von meinen Absichten, nicht einmal Sarah. Es fiel mir nicht leicht, Feline und die Redaktion zu verlassen, andererseits wollte ich meine Liebe zu Clemens endlich frei leben können, mein Clemens … der sich immer noch nicht gemeldet hatte. Gemeinsam ins neue Jahr zu feiern, konnte ich mir abschminken.
Oder etwa doch nicht, denn kaum war Sarah zur Tür hinaus, klingelte es erneut. Aufgeregt und hoffnungsvoll öffnete ich. Im Treppenhaus hörte ich Schritte, dann sah ich eine dunkle Fischerwollmütze, die aber nicht zu Clemens, sondern Ben gehörte. Wie sich die Zeiten ändern konnten. Noch letztes Sylvester wäre ich durchgedreht, mit Ben allein im Treppenhaus zu stehen, dieses Jahr war ich enttäuscht, weil er nicht Clemens war. Die Enttäuschung verbarg ich wohl schlecht, denn er grinste mich breit an und meinte: »Soll ich wieder gehen, oder darf ich reinkommen, auch wenn ich nicht Clemens bin? Lässt du die Tür bitte offen, Liv kommt auch gleich.«
Super, so hatte ich mir Sylvester vorgestellt. Ohne Clemens mit lauter Pärchen aufs neue Jahr anzustoßen und mir auch noch blöde Kommentare von Ben anzuhören. Wenigstens war Liv inzwischen erträglich.
Die letzten Sekunden vor Mitternacht zählten alle gemeinsam herunter, ein gefülltes Glas in der Hand. Punkt zwölf gingen wir auf den Balkon, Leila spielte Auld Lang Syne , und die Verliebten lagen sich in den Armen.
In Gedanken prostete ich Clemens zu, der vermutlich gerade irgendwo in der Luft ins neue Jahr feierte. Ob die Stewardessen wohl Partyhüte trugen und der Pilot Happy New Year von Abba laufen ließ?
Schließlich lagen sich auch alle guten Freunde in den Armen, und es kam der Teil, vor dem mich dieses Jahr eigentlich Clemens hätte beschützen sollen, nämlich die Fraktion der männlichen Singles oder der Männer, die in Langzeitbeziehungen steckten. Unter dem Vorwand »Alle Menschen werden Brüder« fielen sie Frauen ohne Begleitung um den Hals und küssten sie ungefragt auf den Mund. Das beste Mittel war Fliehen, und so zog ich mich mit meinem Glas in die Küche zurück und sprach Clemens auf die Mailbox, um wenigstens ein bisschen Sylvester mit ihm zu feiern.
Rudi wirkte für seine Verhältnisse ernst, setzte sich zu mir und seufzte.
»Was wünschst du dir denn fürs neue Jahr?«, fragte er und stupste mich an.
»Das alles genauso weitergeht wie letztes! Und Gesundheit. Ab dreißig sollte man immer auch Gesundheit mitwünschen. Und du? Irgendwelche Wünsche oder Vorsätze?«
Rudi nahm einen tiefen Schluck von seinem Wodka-Tonic.
»Wenn du es genau wissen willst. Mein Vorsatz für dieses Jahr heißt, dass ich meine Angst vor Zurückweisung überwinde und dem Mädchen, in das ich verliebt bin, es endlich sage und notfalls um sie kämpfe. Wenn es nichts wird, kann ich weitermachen wie
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