Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Vorstellungsgespräch von ihr hatte, war, dass sie so schnell nichts und niemand aus der Ruhe bringen konnte. Sie strahlte eine unglaubliche Gelassenheit aus, wusste gleichzeitig aber genau, was sie wollte oder erwartete.
Inzwischen hatte ich sie ein paar Mal in Meetings erlebt und ab und zu auf dem Flur getroffen und war erstaunt gewesen, wie witzig und ausgelassen sie sein konnte. Kichernd auf der Toilette zu stehen oder vertrauliche Frauengespräche mit ihr zu führen war möglich, gleichzeitig verlor man nie den Respekt vor ihr. Und die Stärke, die sie ausstrahlte, bewahrte einen davor, zu denken, man könne sich alles erlauben. Aber wenn sie nicht meine Chefin wäre, hätte ich sie gern zur Freundin, so viel stand fest.
Sie wüsste bestimmt, wie man mit Männern wie Clemens umging!
Es war ungewöhnlich, Feline bei Clemens im Büro zu sehen, meistens wurde er zu ihr gebeten. So lange war ich schon hier, um zu wissen, dass sie nur vorbeischaute, wenn es etwas Erfreuliches oder Unangenehmes zu besprechen gab.
Ich versuchte, mich unauffällig zu verdrücken.
»Du kannst dableiben, Gretchen. Das betrifft dich auch in gewisser Weise.«
Sie sah nicht besonders fröhlich aus. Es schien sich um keine guten Nachrichten zu handeln.
Sie bedeutete mir, mich zu setzen, blieb selbst aber stehen.
»Ich mach es kurz. Ein alter Freund, der über sehr gute Kontakte zum Schmidt-Verlag verfügt, rief mich gerade an. Sie werden nächsten Monat ein neues Magazin launchen. Es wird Zeitgeist heißen, und ihm wird im Prinzip unser neues Konzept zugrunde liegen, außerdem richtet es sich an unsere Zielgruppe. Ihr werdet nicht erraten, wer den Chefredaktionsposten bekleiden wird.« Sie schwieg einen Moment lang bedeutungsvoll, bevor sie fortfuhr: »Ilona Richter!«
Das waren ja gleich zwei Hiobsbotschaften auf einmal! Erstens war der Schmidt-Verlag nicht irgendein Verlag, sondern der größte Verlag Europas, verfügte über ganz andere finanzielle Mittel und Vertriebsmöglichkeiten sowie Crosspromotion. Bisher hatte er eher in seichten Gewässern gefischt, abgesehen von einem großen politischen und renommierten Wochenmagazin.
Vor kurzem hatte ein Personalwechsel in der Chefetage stattgefunden und damit anscheinend auch ein Richtungs- und Imagewechsel.
Ilona Richter war in der Branche bekannt – oder eher berüchtigt, musste man wohl sagen.
»Kettenhund« war einer der netteren Spitznamen. Angeblich hatte sie ihre Karriere vor allem über Vorstandsbetten beschritten, sie sah auf gewisse Weise gut aus, hatte auf alle Fälle Sexappeal, war das, was man unter gerissen verstand, und wusste, wie man gute Leute antreiben und ausnutzen musste, um zu bekommen, was eigentlich von ihr selbst erwartet wurde.
Das Prekäre an der Situation war, dass Ilona Richter selbst für einige Monate bei der Phosphor gearbeitet hatte. Als das Schiff ins Wanken geraten war und die Situation so verzweifelt aussah, hatte man Ilona Richter als Brandlöscherin angeheuert. Es kam, wie es kommen musste, sie hatte ihre gewohnt charmante Art und Arbeitsweise zutage gelegt, intrigiert und geherrscht, wo es ging, und war letztlich mit Feline aneinander geraten, die trotz der widrigen Umstände immer darauf achtete, dass ein respektvoller Umgang unter den Mitarbeitern herrschte. So wurde Ilona Richter noch in der Probezeit gefeuert, was keinesfalls ruhig abgelaufen war. Im Gegenteil, Ilona hatte so viel Gift und Galle gespritzt, dass jedes noch so kleine Lokalblatt das Zerwürfnis mitbekommen hatte. Seither ließ sie keine Gelegenheit aus, um unseren Verlag, die Phosphor und insbesondere Feline niederzumachen, wo es ging. Feline war zu souverän, um sich öffentlich auf diese Spielchen einzulassen, aber intern wusste jeder, wie sehr sich Ilona Richter und sie hassten.
Natürlich ließ sich Ilona eine solche Chance wie Zeitgeist nicht entgehen. Endlich konnte sie es Feline heimzahlen, und zwar da, wo es am meisten wehtat. Der Erfolg von Phosphor lag, soweit ich das beurteilen konnte, Feline besonders am Herzen, sie hatte das Projekt aus der Taufe gehoben.
Ilona Richter war ich bisher nur einmal persönlich begegnet, aber das war mehr als eindrucksvoll gewesen. Bei der letzten Berlinale hatten wir einen gemeinsamen Interviewtermin gehabt. Zweier- und Dreierrunden mit Journalisten bei Interviews waren durchaus üblich, aber Ilona hatte ein Gezeter veranstaltet, sie wolle den Regisseur exklusiv befragen, das habe man ihr zugesagt, was natürlich erstunken und
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