Flaschendrehen: Roman (German Edition)
schön! Und die Schmerzen sind völlig weg?«
»Völlig!« Ich nickte.
»Clemens möchte dich sehen. Du kannst gleich rein, sobald seine Stalkerin weg ist.«
Bitte wer?
Marion deutete meinen fragenden Gesichtsausdruck richtig und flüsterte vertrauensvoll: »Clemens wird von einer Stalkerin belästigt. Anscheinend eine Exfreundin, die nicht von ihm loskommt. Sie verfolgt ihn wohl schon seit über einem Jahr und hat gerade seinen neuen Arbeitsplatz ausfindig gemacht.«
Ich versuchte, so geschockt wie möglich dreinzublicken, obwohl ich ein gewisses Verständnis für Clemens’ Stalkerin aufbrachte und für mich keine Garantie abgeben wollte, ihm nicht auch hinter einem Blumenbeet oder Laternenpfahl aufzulauern, falls er mich verschmähen sollte.
»Aber es gibt doch jetzt das neue Stalkinggesetz, kann man da nichts machen?«, antwortete ich.
Marion blickte sich um, ob auch wirklich niemand zuhörte.
»Ich glaube, Clemens ist die Sache eher unangenehm, und er möchte es nicht an die große Glocke hängen. Sag ihm ja nicht, dass ich dir das erzählt habe! Irgendwie fühlt er sich verantwortlich für sie, weil sie ja auch mal zusammen waren, wenn auch nur kurz.«
Aha, kurz. Kurz schien ja bei Clemens sehr beliebt zu sein, wenn ich an seinen Ausrutscher mit Diane dachte. Vielleicht war es ja kein Zufall, dass er mich gleich nach der Stalkerin sehen wollte, so nach dem Motto, wenn er schon in Rage war, konnte er mich gleich mit abservieren.
Gespannt setzte ich mich auf einen der Sessel in Clemens’ Vorzimmer und wartete.
Nach einigen mir unendlich erscheinenden Minuten ging endlich die Tür auf, und heraus kam eine unscheinbare blasse Frau mit mittelblonden kurzen Haaren. War das die Stalkerin oder die Steuerberaterin der Stalkerin? Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Clemens mit ihr zusammen gewesen war. Noch weniger konnte ich eine Verbindung zwischen Diane, ihr und mir herstellen. Wo bitte, war die Gemeinsamkeit? Wie bitte konnte jemand Diane, mich und diese graue Maus gut finden?
Marions betont unauffälligen Blicken und Gesten nach zu urteilen, musste sie es aber sein. Kaum war sie vorbeigehuscht, ging ich zu Marions Tisch.
»Also, die habe ich mir anders vorgestellt. Bist du dir sicher, dass Clemens mit ihr zusammen war?«
Marion nickte.
»Glaube mir, ich hab genauso verdattert geschaut, aber Clemens meinte, manche Frauen hätten erst was auf den zweiten Blick.«
Ah ja, keine Ahnung, was ich davon halten sollte, stellte ich verwirrt fest.
Marions Telefon klingelte. Sie nahm ab, sagte »klar, mach ich« und gab mir das Zeichen, dass Clemens mich erwartete.
Meine Beine sackten im gleichen Augenblick fast unter mir weg. Reiß dich zusammen, Gretchen!, ermahnte ich mich selbst.
Mit einem Puls, der jedem Fassadenkletterer Ehre gemacht hätte, klopfte ich an Clemens’ Tür.
»Ja?«
Allein seine Stimme schaffte es, mit einem Schlag Bilder von wilden Nächten in durchwühlten Laken zu erzeugen.
Ich trat ein, schloss die Tür und blieb unsicher stehen.
Clemens sah mich an, und ein Leuchten ging über sein Gesicht. Er stand auf, kam auf mich zu, und ehe ich mich versah, drückte er mich an die Tür, seine Hände waren überall, und sein Mund suchte meinen.
»Endlich! Ich habe mich so gesehnt, dich zu spüren«, flüsterte er beinahe atemlos. Ich war jenseits von gut und böse, nicht mehr in der Lage, auch nur eine Silbe zu formen, und gab mich einfach seinen Küssen hin.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Erschrocken zuckte ich zusammen und wollte mich aus der Umarmung lösen, aber Clemens dachte gar nicht daran, mit seinen Liebkosungen aufzuhören. Die eine Hand in meinem Nacken, die andere an der Hüfte und seine Lippen, die fortfuhren, meinen Hals auf und ab zu streichen. Das Klopfen wurde lauter.
»Clemens?«
Das war nicht irgendeine Stimme, sondern die von Feline Wagenknecht, unserer Herausgeberin.
Seelenruhig strich sich Clemens die Haare zurecht, ging an seinen Schreibtisch und rief: »Komm doch rein!«
Feline trat ein und sah wie immer umwerfend aus. Klein, zierlich, dunkle lange Haare, ein Gesicht wie Audrey Hepburn, extrem stylish gekleidet, ohne dabei verkleidet zu wirken. Sie war Ende dreißig, hatte eine Bilderbuchkarriere hingelegt, wurde in fast jedem Artikel über Businessfrauen als leuchtendes Beispiel einer erfolgreichen Managerin hergenommen, die es außerdem noch schaffte, Mann und Kind unter einen Hut zu bringen.
Der erste Eindruck, den ich beim
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