Flaschendrehen: Roman (German Edition)
noch ihre Stimme verändert. Sie wirkte nach wie vor schüchtern, verhielt sich auffällig leise und zuckte schon zusammen, wenn nur die Tür aufging.
Michi wirkte wie eine verkleidete Komparsin am Set eines Kostümfilms. Komischerweise weckte sie mehr denn je meinen Beschützerinstinkt.
Die Nachricht des Tages verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Besonders Michi war extrem aufgeregt, als sie von Zeitgeist erfuhr.
»Meinst du, wir müssen jetzt wieder gehen? Wir sind ja noch in der Probezeit. Was, wenn die anderen erfolgreicher sind?« Sie seufzte. »Dabei habe ich mir gerade eine Eigentumswohnung gekauft. Mein Papa sagte, die Zeit sei günstig.«
Michi riss ihre Kulleraugen weiter auf denn je und atmete heftig. Erst kürzlich hatte sie erzählt, wie sie als Kind bei Aufregung hyperventilieren musste, und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie in eine Plastiktüte ein- und ausatmete, um sich wieder zu beruhigen. Auf ihrem Tisch lagen schon die Baldrianpillen und ein Allergiespray gegen Asthma.
»Mach dir mal keine Sorgen. Wir sind gut!«
Eigentlich wollte ich weitersprechen, aber Diane war ins Zimmer gekommen. Sie sah wie immer aus: als ob sie bei der Vanity Fair arbeiten würde und an einer deutschen Version von Der Teufel trägt Prada schrieb.
»Sprecht ihr von Zeitgeist? Also, ich würde mir Sorgen machen. Zufällig kenne ich Ilona Richter ein wenig, und die Frau weiß, was sie tut«, bemerkte sie fast bewundernd. Kein Wunder, Kettenhund und Rittmeister würden ein tolles Paar abgeben, die gleichen Charakterzüge hatten sie allemal.
Michi fingerte aufgeregt an ihrer neuen Frisur herum.
»Vielleicht war das mit der Eigentumswohnung doch ein Fehler!«
Na Klasse, Diane hatte wieder ganze Arbeit geleistet. Anstatt ihre Klappe zu halten oder Michi zu beruhigen, musste sie natürlich einen draufsetzen!
»Tja, jetzt zeigt sich eben, wer besser ist. Natürliche Auslese, Darwin lässt grüßen. Also, ich persönlich mag Konkurrenz. Das belebt ja bekanntlich das Geschäft, und wenn man weiß, dass man besser ist, hat man eh nichts zu befürchten! Das gilt im Großen wie im Kleinen.« Sprach’s, zeigte ihr breitestes Lächeln und stolzierte zufrieden aus dem Zimmer.
Am liebsten hätte ich ihrem durchtrainierten Po den Tacker hinterhergeschmissen, aber provozieren ließ sich eine Diane nicht so schnell. Gefühlsregungen bei anderen hingegen freuten sie. Das war genau, was sie herauskitzeln wollte, um dann kühl und unberührt darüber hinwegzugehen, denn Regungen setzte sie mit Schwäche gleich. Ob man das im Eliteinternat oder beim Debütantinnenball lernte? Sie sollte mal auf meine Mutter treffen! Ich war sicher, dass, wenn jemand es schaffen konnte, Diane zur Weißglut zu bringen, dann meine Mutter. Wenn meine Eltern in Berlin waren, um Auren zu bestimmen und diesen Schamanenkurs zu besuchen, musste ich unbedingt ein scheinbar zufälliges Treffen zwischen Diane und meiner Mutter arrangieren. Eva würde sofort diese angestaute Energie verspüren und Diane helfen wollen und den Rittmeister mit ihrem Eso-Kram schrecklich nerven. Das stellte ich mir sehr unterhaltsam vor.
Aber erst musste ich Michi beruhigen, was mir nach einiger Zeit auch gelang, indem ich ihr versicherte, im schlimmsten Fall beim Wiederverkauf ihrer Wohnung zu helfen.
Am späten Nachmittag hatte Feline eine außerordentliche Redaktionssitzung anberaumt. Alle Redaktionen samt Volontären, Praktikanten und Assistentinnen fanden sich im großen Konferenzraum ein. Ich ließ den Blick in die Runde schweifen, und mir wurde mal wieder bewusst, dass ich in einer sehr jungen Branche arbeitete. Der Großteil unseres Teams war Anfang, Mitte zwanzig. Alles offene, interessierte und intelligente Leute mit nur einem Ziel: einen guten Job zu machen. Bis vor einigen Jahren ging es mir genauso, da zählte nur, dass der Job Spaß machte und man weiterkam. Inzwischen dachte ich immer häufiger darüber nach, wie es sich wohl mit einer kleinen eigenen Familie lebte; wenn es besonders stressig war, bemühte meine Aussteigerfantasie nicht das typische Bild einer einsamen Insel. Nein, ich träumte davon, Hausfrau zu sein und die Wohnung jahreszeitengerecht zu dekorieren, auf dem Markt einkaufen zu gehen und Dinners für meine Freunde zu kochen. Natürlich hatte ich in dieser Fantasie auch eine fleißige Putzfrau und einen Mann, der das alles zu schätzen wusste. Im Prinzip war mir klar, dass ich solch ein Leben höchstens zwei Wochen lang aushalten würde, bevor
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