Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Vorwürfe machen würde. Ich entschied mich für meine Mutter. Die war wenigstens weit genug weg.
»Gretchen! Das ist ja eine Überraschung. Warte einen Moment, ich muss nur schnell Elli verabschieden.«
Elli war eine ihrer allein erziehenden Mütter, um die sie sich kümmerte. Warum meine Mutter ausgerechnet Elli besonders unterstützte, war mir ein Rätsel. In ihrer Gruppe waren so viele sympathische Frauen, die aus verschiedenen Gründen mit ihren Kinder allein leben wollten oder mussten. Nur Elli war ätzend, so stur und Angst einflößend, dass sogar ich verstehen konnte, weshalb ihr Exmann vor ihr geflohen war. Seither nannte sie den armen Mann nur noch den Kindsvater oder Erzeuger, erkannte ihm alle Rechte am gemeinsamen Kind eigenmächtig ab, trotz anders lautendem Gerichtsbeschluss. Ihre Rache an den Männern und der Welt sicherte sie stellvertretend über eine antiautoritäre Erziehung ihres kleinen Rasputin. Ja, der Name war echt und nicht erfunden! Ich konnte hören, wie meine Mutter »’tschüss« sagte und die Tür ins Schloss fiel.
»So, jetzt habe ich Zeit für dich. Was gibt’s denn? Wieso bist du denn um diese Zeit nicht im Büro?«
Allzu bereitwillig begann ich zu erzählen, zu beichten, mein Gewissen zu reinigen. Angefangen von der Kohlsuppe über Clemens bis hin zu Sarah, der ich bisher alles verschwiegen hatte. Die Schleusen waren geöffnet, und wenn überhaupt jemand diesem Schwall entgegentreten konnte, dann meine Mutter. Wer allein erziehende Mütter, fanatische Veganer mit Glutenallergie und pubertierende Landeier jeden Tag ertrug, wurde auch mit mir fertig – dachte ich.
Eva, so nannte ich meine Mutter nur, wenn ich etwas von ihr wollte, war sichtlich überrascht.
»Dich hat es vielleicht erwischt, so konfus wie du sprichst! So kenn ich dich gar nicht!«
Wie denn auch? Schließlich hatte ich bisher vermieden, mit ihr über Liebschaften zu sprechen. Vor dieser Art Mutter-Tochter-Diskussion hatte ich mich stets gefürchtet, und nicht etwa, weil meine Mutter Hemmungen hatte. Im Gegenteil, allein der Gedanke, sie könnte mir gegenüber »Es ist völlig normal, sich selbst zu befriedigen« äußern, ließ mich jedes Gespräch, das Liebe, Sex oder Beziehung zum Inhalt hatte, von vornherein abbiegen.
Davon abgesehen waren meine wenigen Freunde, wenn ich zufällig nicht gerade in Ben verliebt war, so genannte Söhnchen aus besserem Hause gewesen, so vorhersehbar und berechenbar wie Sabine Christiansens Kostüme.
»Ja, Mama, so kenne ich mich auch nicht. Und Sarah kenne ich so auch nicht, und meine Kolleginnen im Büro kannte ich zwar vorher nicht, aber glaube mir, die hat es ebenfalls erwischt. Und ich schwöre dir, selbst dich würde es erwischen, wenn du Clemens treffen würdest.«
Am anderen Ende war es still. Ich hörte nur ein leises Klirren von Metall. Das Geräusch kannte ich. Meine Mutter knetete ihre silbernen Handschmeichler, um besser nachdenken zu können.
»Ich glaube, dieser Clemens ist gefährlich, und zwar aus einem einzigen Grund. Er weiß nicht, was er will oder wer er ist. Und wenn du mich fragst, versucht er, das über Frauen herauszufinden, der Arme.«
Wie bitte? War das der Trost, die Weisheit, die sie ihrer Tochter mit auf den Weg geben wollte?
»Mama, was soll denn das heißen? Ich bin ernsthaft verliebt, wie noch nie zuvor! Wenn alles nach meinem Plan läuft, ist das der Mann, der deine Enkel zeugt, also pass besser auf, was du sagst.«
Das Klirren im Hintergrund erklang in immer kürzeren Abständen.
»Du verhütest doch, oder?«
Sieh an! War das meine »Jedes Kind ist auf dieser Welt willkommen«-Mutter? Wer hätte es gedacht, vielleicht hätte ich schon früher mal diese Themen anschneiden sollen, um ihre konservative Seite kennen zu lernen, die sie zweifelsohne in sich tragen musste. Sie war immerhin die Tochter meiner Großeltern.
»Natürlich verhüte ich, wobei mir bei Clemens alles egal wäre, glaube mir! Diese Magie, Mama, ich spüre es, das ist er!«
So pathetisch hatte meine Mutter mich nie zuvor erlebt. Bestimmt wäre es klüger gewesen, Ben anzurufen.
»Ich hab immer gedacht, dass du und Ben …« Bevor sie weiter-sprechen konnte, unterbrach ich sie.
»Oh Mann! Wann begreift ihr eigentlich alle, dass Ben und ich nie zusammen waren und auch nie zusammenkommen werden. Er hat eine Freundin, und das bereits seit zwei Jahren! Außerdem bin ich in einen anderen Mann verliebt!«
Es klingelte an der Tür.
»Warte mal. Da will jemand zu
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