Flaschendrehen: Roman (German Edition)
Ben eingeladen hatte, um mich sozusagen abzulenken, damit sie freie Bahn mit Clemens hatte?
Das durfte doch nicht wahr sein! Ich war noch nicht einmal mit Clemens offiziell zusammen und schon paranoid und meiner besten Freundin gegenüber misstrauisch!
Dabei war es sie, die allen Grund hatte, mir zu misstrauen. Hoffentlich sah man mir Clemens’ Küsse nicht an der Nasenspitze an!
Wenigstens hatte Ben zwei und zwei gesagt, was darauf schließen ließ, dass Nervensäge Liv nicht dabei war!
Sarah kam hektisch aus der Küche gelaufen.
»Wo bleibt ihr denn? Ich brauche eure Hilfe. Wir haben nur noch eine halbe Stunde!«
Mich traf der Schlag! Sarah, die alte Perfektionistin, hatte sich in einen Sari gewickelt, einen roten Punkt auf die Stirn aufgemalt und ging barfuß über ihren lupenrein gebohnerten Boden.
Sie sah umwerfend aus! Ob Clemens als Indienfreund es sich anders überlegte, wenn er sie so sah? Mit meinen blonden Haaren, hellblauen Augen, Sommersprossen und roten Wangen war ich das Gegenteil einer exotischen Schönheit.
»Kommt schnell, der Lieferservice war schon da. Und spart euch eure Kommentare, aber in so kurzer Zeit hätte selbst ich es nicht geschafft, indisch kochen zu lernen, und schließlich habe ich Clemens damit für heute Abend geködert. Das heißt, wenn er fragt, koche ich oft und gerne indisch für euch, klar? Wir wollen ja nicht, dass der Schwindel auffliegt!«
Sie steckte sich mit zitternden Händen eine Zigarette an. Sarah musste wirklich aufgeregt sein, denn obwohl sie mehr oder weniger Kette rauchte, tat sie es nie in ihrer Wohnung, sondern ging immer auf den Balkon, weil sie es so eklig fand, wenn die Wohnung nach Rauch stank! Sollte einer mal die Raucher verstehen. Allein aus Protest gegen meine Eltern war ich Nichtraucher geblieben. Inzwischen rauchten sie zwar nicht mehr so viel und wenn, dann natürlich nur selbst gedreht mit Schwarzer-Krauser-Tabak, aber soweit ich es mitbekam, kifften sie nach wie vor ziemlich häufig, was meine Großeltern regelmäßig veranlasste, ihnen mit Enterbung zu drohen. Meinen Eltern war das offiziell gleichgültig, schließlich waren sie ja keine Materialisten. Umso peinlicher war es gewesen, als ich sie heimlich mit einem Erbrechtskommentar erwischte, in dem sie die Pflichtteilregelung nachgeschlagen hatten, um zu sehen, wie viel ihnen vom Erbe meiner Großeltern rechtlich zustand. Als herauskam, dass allein der Pflichtteil sie von allen Lasten und Schulden befreien und ihnen ein Leben in Saus und Braus sichern würde, kifften sie getrost weiter.
Sarahs Küche sah geleckt aus wie immer, so als ob sie gerade neu geliefert worden wäre.
Stundenlang konnte sie damit verbringen, ihre Küche zu putzen, die Schränke aus- und wieder einzuräumen, den Besteckkasten neu zu ordnen, das Silber zu putzen, alles Tätigkeiten, die ich hasste.
»Sarah, das glaubt niemand, dass hier gekocht wurde, nicht mal dir!«
Sie winkte ab.
»Bin ja nicht blöd!«
Kurz entschlossen stellte sie ein paar Töpfe auf den Herd, goss das gelieferte Essen um und dekorierte Hühnchen, Gemüseabfälle und Reisreste passend auf die Arbeitsplatte. Hier ein Schneidebrettchen mit einem Stumpf Karotten, dort ein halb geöffnetes Rosinenpäckchen. Ein drapierter Mangokern auf der Spüle. Selbst hierfür hatte Sarah alles generalstabsmäßig durchgeplant und überließ nichts dem Zufall. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass sie sich je für einen Typen zuvor so ins Zeug geschmissen hatte.
Ben musste dasselbe denken.
»Ich hoffe, dieser Clemens ist das Theater wert.«
Mein schlechtes Gewissen sog Bens Sorge wie ein ausgetrockneter Schwamm auf.
»Das mit dem Essen wäre wirklich nicht nötig gewesen!«
Ben sah mich so komisch an.
»Du warst noch nicht im Esszimmer! Das Essen ist nur ein kleiner Teil des Clemens-Unterhaltungsprogramms.«
Ich ging ins Esszimmer, besser gesagt, was davon übrig oder noch zu erkennen war. Sarahs Einrichtung hatte bis zu diesem Tag ganz ihrem Naturell entsprochen: praktisch, pur, vernünftig ohne Schnickschnack, modern – und natürlich hatte alles zusammenzupassen. Man kann sich vorstellen, was es bedeutete, Sarahs Esszimmer einen Indienlook zu verleihen. Mehr noch: Sarah hatte in ihrem Dekowahn das Zimmer in einen indischen Aschram oder das, was sich der gebildete Westeuropäer darunter vorstellte, verwandelt. Mit bunten Teppichen, Stoffen, Farben, glitzernden Tüchern, denen kleine Spiegelpailletten aufgenäht waren, war eine Art Zelt
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