Flaschendrehen: Roman (German Edition)
getroffen, wo ihr mein Name sehr wohl mitgeteilt worden war. Damals waren ihre Haare noch rot, inzwischen blond gefärbt, bestimmt der Tipp ihres Friseurs, weil blond einen jünger aussehen lässt, vorausgesetzt man hat nicht sein halbes Leben Kette rauchend auf der Sonnenbank verbracht.
»Ja, und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«, stellte ich mich dumm. Wenn sie dachte, sie könne mir blöd kommen, konnte ich es auch. Jetzt konnte sie nämlich schlecht sagen: »Das müsstest du doch wissen.«
Sie spielte das Spiel mit.
»Ilona Richter, Zeitgeist .«
Zum Glück musste ich nicht antworten, ihr Handy klingelte. Der Klingelton war die Titelmusik von Sex and the City , was nicht nur völlig out war, sondern statt weltgewandt oder sexy bei ihr lediglich verzweifelt wirkte.
»Das ist mir egal. Wenn Sybille nicht richtig redigieren kann, hat sie bei uns nichts verloren. Sie ist doch noch in der Probezeit, also schmeiße sie raus und besorge Ersatz«, bellte sie ins Telefon. Wenn es so etwas wie den wahr gewordenen Albtraum einer Karrieristin in den Medien gab, dann saß er vor mir. Widerwillig musste ich mir eingestehen, so sehr sie einen auch abstieß, hatte sie doch eine Ausstrahlung, die sie interessant wirken ließ. Bei Männern setzte sie bestimmt einige Fantasien frei, wenn auch eher Reitstiefel dabei eine Rolle spielen könnten. Einige gute Jahre lagen noch vor ihr, bevor sich der verbitterte Zug um den Mund und die hängenden Mundwinkel unwiederbringlich eingegraben hatten.
Ungefragt steckte sie sich eine Zigarette an, wohlgemerkt im Nichtraucherbereich. Nicht, dass ich etwas dagegen gehabt hätte, schließlich rauchten viele meiner Freunde, Sarah sogar Kette, nein, eher störte mich diese »Jetzt komm ich und nach mir die Sintflut«-Attitüde, die Fräulein Richter verströmte. Rücksichtsvoll war sie höchstens beim Zahnarzt, der mit dem Bohrer in der Hand am längeren Hebel saß.
»Gibst du mir mal den Aschenbecher rüber!«
Wie bitte? Einmal abgesehen davon, dass dies keine Frage war, sondern ein Befehl, ohne bitte und danke, war ich nicht ihre Zofe.
Ich beschloss, nicht darauf zu reagieren, und betrachtete stattdessen ihre Aufmachung genauer. Ich wusste gar nicht, wie viele Chanel- und Dior-Schnallen auf Kleider, Taschen und Sonnenbrillen passten, man war richtig geblendet von den Glitzerpailletten und Strasssteinen.
Ungerührt aschte Ilona Richter einfach auf den Glastisch, aufzustehen, daran dachte sie im Traum nicht.
Der Kellner, der meinen Ananassaft brachte, machte sie darauf aufmerksam, dass sie im Nichtraucherbereich rauchte und er sie bitten müsse, das zu unterlassen.
»Bin schon fertig«, lächelte sie ihn an und reichte ihm den noch glühenden Stumpf hin. Kommentarlos nahm er ihn entgegen. Dreistigkeit schien tatsächlich zu siegen.
Endlich, es kam mir wie eine Ewigkeit vor, erschien Cathy McGillivray zusammen mit einer Pressereferentin des deutschen Kinoverleihs.
Sie setzten sich zu uns, und Cathy bestellte sich einen Latte macchiato. Das Interview startete mit einem kurzen Smalltalk. Cathy liebte Berlin. Sie fand die Stadt inspirierend.
Ich ließ Ilona ihre Fragen stellen, die ziemlich gewöhnlich und nicht besonders vorbereitet waren. Sie wollte zum Beispiel wissen, ob Cathy überrascht gewesen sei vom weltweiten Erfolg ihres Filmes. Ilona sprach gut Englisch und gab sich alle Mühe, sympathisch zu wirken, aber irgendwie kam alles sehr gezwungen und aufgesetzt rüber, bestimmt lagen ihr Männer als Interviewpartner besser. Cathy ließ sich jedoch nichts anmerken, auch nicht, dass sie diese Frage schon zum hundertsten Mal beantwortete.
Ilona stellte eine Standardfrage nach der anderen. Wenn die Artikel von Zeitgeist ähnlich geschrieben waren, mussten wir uns vor gar nichts fürchten. Man konnte nur für Ilona Richter hoffen, dass ihr Ruf, sich gute Mitarbeiter zu halten, stimmte, denn sie selbst war, was inhaltliches oder fachliches Arbeiten anging, keine Leuchte, das war mir nach einigen Minuten klar geworden.
Cathy McGillivray sah mich an und fragte, was ich denn wissen wolle. Sie hatte wache Augen, einen klaren Blick.
»Was mich am Film besonders berührt hat, war, wie humorvoll Sie dieses Thema umgesetzt haben, ohne dabei Grenzen zu überschreiten oder es zu einem Klamauk werden zu lassen. Nun sagt man, dass Menschen, die selbst ein schweres Schicksal oder eine schwierige Phase in ihrem Leben hinter sich gebracht haben, genau dieses feine Gespür für Humor entwickeln.
Weitere Kostenlose Bücher