Flaschendrehen: Roman (German Edition)
stieg mit relativ belanglosen Fragen zum Film ein. Wenn man sich gut verstand, versuchte ich persönlichere oder detaillierte Fragen zu stellen. Bisher war die Taktik immer aufgegangen. Auf Cathy McGillivray freute ich mich besonders. Sie schien eine tolle Frau zu sein, stammte aus Irland und hatte mit ihrem ersten Film Frühlingserwachen , der von einer jungen Frau handelte, die nach einem Schlaganfall wieder von vorn beginnen und jeden Schritt im Leben neu lernen musste, weltweit für Aufsehen gesorgt. Es war ihr gelungen, den Film ohne den üblichen Kitsch und stattdessen mit einer gehörigen Portion Humor und gelassener Lebensweisheit umzusetzen, und das alles in einer wunderschönen Landschaft mitten in Irland. Ich hatte recherchiert, dass ihre Schwester tatsächlich einen Schlaganfall mit Mitte zwanzig erlitten hatte, aber Cathy bisher nur äußerst knapp und ungern darüber gesprochen hatte. Vielleicht würde ich Cathy dazu befragen können. Aber abwarten, solche Interviews konnten ganz unterschiedlich verlaufen. Manchmal war es ein extrem durchorganisiertes, von Managern und Pressedamen überwachtes Gespräch, das keinen Raum für spannende Fragen oder eine Gesprächsentwicklung ließ. Meistens waren diese unpersönlichen Gespräche mit vertraglich vereinbarten Promotiontouren verknüpft, und Mittelpunkt des Geschehens war ein A-Promi, etwa ein aktuell angesagter Schauspieler, der einen Blockbuster promoten wollte und viel zu gewieft und ängstlich war, um sich in die Karten schauen zu lassen. Gekonnt legte sich so einer ein paar private Neuigkeiten zurecht, die nicht wirklich intim waren, aber durchaus als neue Nachricht oder Headline für ein Interview verwendet werden konnten.
Im Hyatt fuhr ich in die Tiefgarage, stellte den Wagen ab und fuhr mit dem Aufzug in die Lobby. Da Cathy als Regisseurin öffentlich kaum bekannt war und nicht an jeder Ecke erkannt wurde, wollten wir uns in der Lobby vor dem Kamin treffen. Fotos brauchten wir keine, da nahmen wir die, die von ihrem Management freigegeben und uns zur Verfügung gestellt wurden.
Ich meldete mich wie üblich an der Rezeption an und wurde freundlich zu einer Sitzgruppe im hinteren Teil der Lobby geleitet, die für uns reserviert worden war. Ich hielt Ausschau nach Pitbull Ilona Richter, aber noch war von ihr nichts zu sehen, was aber auch daran liegen konnte, dass ich eine gute Viertelstunde zu früh war.
Beim aufmerksamen Kellner bestellte ich mir einen frisch gepressten Ananassaft und ließ mich in den tiefen, weichen Sessel fallen mit Blick auf die Bar, wo um diese Zeit noch nicht sehr viel los war. Kein Wunder, wer wollte schon gleich nach dem Frühstück picheln?
Einzig eine auffällig gekleidete Dame nippte an einem klaren Cocktail. Vielleicht war sie von ihrem Mann verlassen worden und brauchte dringend einen Drink – obwohl Ehemänner Ehefrauen wahrscheinlich selten in Hotels verließen, Geliebte hingegen schon eher. Zwar sah ich sie nur schräg von der Seite, aber ihre Haltung war eindeutig nicht die einer sitzen gelassenen, in Mitleid zerfließenden Geliebten. Einer käuflichen schon eher. Für eine Kurtisane oder Edelhure der perfekte Platz, um allein reisende Männer kennen zu lernen. Die Haare, die toastergebräunten Beine, die Designerklamotten, die so auffällig mit Labels verziert waren, dass man meinte, sie als wandelnde Litfaßsäule mieten zu können, alles war einen Tick zu viel und zeugte von einem Touch ins Ordinäre. Also entweder neureich oder käuflich, überlegte ich und fand mich im selben Moment ziemlich oberflächlich. Was, wenn die Gute eine angesehene Unternehmerin war, die gerade einen Deal versenkt oder noch besser gewonnen hatte und sich zur Feier des Tages einen Drink gönnte? Ging mich ja auch alles nichts an.
Sie drehte sich um, und plötzlich war mir klar, dass es mich doch etwas anging. Die vermutete Edelhure entpuppte sich als niemand anderes als Ilona Richter, die geradewegs auf mich zusteuerte.
Von nahem war sie noch unnatürlicher gebräunt und faltiger als von weitem.
»Gretchen Fingerhut?«
Wie hatte ich vergessen können, dass ihre Stimme genauso unangenehm war wie ihr Wesen. Schneidend und laut.
Sie musterte mich unverhohlen von oben bis unten und gab sich nicht einmal die Mühe zu lächeln. Dass sie mich nach meinem Namen gefragt hatte, sollte wohl signalisieren, dass ich es nicht wert war, sich an mich zu erinnern, schließlich hatten wir uns schon einmal bei besagtem gemeinsamen Interview
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