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Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Flaschendrehen: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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beruhigend die Hand.
    »Kein Angst. Ich beobachte dich schon seit geraumer Zeit, eigentlich seit du bei der Film ab angefangen hast. Ich mag deine Art zu schreiben, du findest zu jedem Thema einen anderen Aufhänger als die Kollegen und gibst deinen Artikeln eine, sagen wir, gefühlvolle Note. Und mein Eindruck von dir hat sich heute vollkommen bestätigt.
    Du warst früher als nötig da, warst ausgezeichnet vorbereitet, hast es geschafft, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, und Cathy McGillivray zum Sprechen gebracht. Das nennt man Einfühlungsvermögen, eine Gabe, die nicht jeder Journalist hat. Außerdem hast du Gelassenheit und Souveränität bewiesen, als ich dich versucht habe zu provozieren. Das alles hat mir gut gefallen. Kurzum, ich würde dir gerne ein sehr lukratives Angebot machen. Willst du nicht zu Zeitgeist wechseln? Frauen wie dich können wir gut gebrauchen.«
    So fühlte sich also die kleine ahnungslose Mücke vor dem Spinnennetz, die überlegte, was die säuselnde Spinne von ihr wollte. Das Schlimme war, dass ich mich wider Willen geschmeichelt fühlte und sie inzwischen auch gar nicht mehr so unsympathisch fand! Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr sie auch schon fort.
    »Du musst dich nicht jetzt gleich entscheiden, denk in aller Ruhe über mein Angebot nach. Ich weiß übrigens auch, welcher Ruf mir vorauseilt. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Ich bin bestimmt nicht einfach und verlange sehr viel von meinen Leuten, aber wer einen guten Job macht, kann von mir alles haben und muss mich auch nicht fürchten. Ich sehe das als Geschäft, gibst du mir, so geb ich dir. Hier ist meine Karte, meine Tür steht immer offen.«
    Sie legte Geld für die Getränke hin, stand auf, verabschiedete sich mit Küsschen links, Küsschen rechts und verschwand – nicht nur der Barmann und ich schauten ihr hinterher.
    In der Redaktion stürmte ich gleich in Clemens’ Büro und berichtete brühwarm von Ilonas Abwerbungsversuch. Er schien nicht sonderlich überrascht.
    »Sieh es als Kompliment. Sie hat einen Riecher für gute Leute. Mir war klar, dass sie dich früher oder später ansprechen wird. Nun hat sie es eben früher getan.«
    Woher kannte Clemens die Richter eigentlich? Es stellte sich heraus, dass beide kurze Zeit bei einer überregionalen Tageszeitung gearbeitet hatten. Das war kurz bevor Clemens nach Paris gegangen war.
    »Wie fandest du sie denn?«, wollte er wissen. Gute Frage! Direkt nach dem Interview hätte ich wohl etwas wie »eine Unterform von Cholera« geantwortet, aber nach dem durchaus herzlichen Abwerbungsversuch war ich völlig durcheinander. Nicht, weil sie mir nette Dinge gesagt hatte, sondern wie sie es gesagt hatte. No Bullshit , die Frau sagte, was sie dachte, kompromisslos, und deshalb wog ein Kompliment aus ihrem Mund doppelt. Auf seltsame Weise hatte sie mir auch imponiert, aber das Furcht einflößende unberechenbare Verhalten war dadurch nicht vergessen. Sich zu entscheiden, für Ilona Richter zu arbeiten, musste so sein, als würde man beschließen, an den Vesuv zu ziehen.
    »Ich fand sie imposant. Einerseits hat sie zwar nicht besonders viel Klasse, aber ein Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein, dass einem schwindlig wird. Außerdem kann sie durchaus nett sein, wenn sie will. Als Mann wollte ich nicht in ihre Fänge geraten, da hat man nichts zu melden, oder was meinst du?«
    Clemens grinste.
    »Besser hätte ich es nicht beschreiben können. Aber siehst du, dein erstes unangenehmes Treffen für diese Woche ist schon überstanden.«
    Allerdings, jetzt musste ich nur noch mit Sarah sprechen, und mein Glück war vollkommen.

Vollkommen nervös stand ich Freitagabend mit schlotternden Knien vor Sarahs Tür. Das war mit Abstand der schwerste Moment in unserer Freundschaft, dabei hatten wir schon so viel gemeinsam durchgestanden und erlebt. Als Sarah von ihrem Freund Andreas wegen Nina Winkler in der Oberstufe verlassen wurde, hatte ich sie getröstet und wieder aufgebaut. Als ich wegen Mathe, meine Stärken lagen eindeutig im sprachlichen Bereich, fast sitzen geblieben wäre, prügelte Sarah so lange binomische Formeln in mich hinein, bis ich eine Zwei schaffte, mit der meine Versetzung gerettet war. Wie oft war ich Alibi gewesen, wenn ihre Eltern sie nicht auf eine Party gehen lassen wollten? Wie oft hatte sie mir gezeigt, wie man praktische Dinge anging, angefangen von Fruchtsaftfleckenentfernung aus Lieblingsshirts, Marmorkuchen backen und Drucker installieren?

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