Flaschendrehen: Roman (German Edition)
besser aus. Schon seltsam, dass Michi, die eigentlich schüchtern war und es vermied, jede Form der Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, zugleich eine so exhibitionistische Ader hatte – oder die falschen Freunde.
Rudi, der sich wieder gefangen hatte, konnte überhaupt nicht glauben, dass das die graue schüchterne Maus sein sollte, mit der ich mir ein Büro teilte und von der ich immer erzählte.
»Also die habe ich mir echt anders vorgestellt. Ich meine, sie sieht aus wie David Bowie in seiner schlimmsten Phase in Berlin. Zieht sie sich immer so an?«
Ja, das wüsste ich auch gern, wenn man sie nicht bald Annas Einfluss entzog, fürchtete ich schon. Rudi, routinierter Charmeur und Frauenkenner, stellte sich Michi vor und war herzallerliebst zu ihr, was ihr sogleich die Röte in die Wangen schießen ließ. Wenigstens musste ich Rudi nicht warnen, die Finger von Michi zu lassen, das kapierte selbst mein Bruder, dass man Michi nicht so einfach angraben, poppen und dann fallen lassen konnte. Dafür war sie einfach zu naiv und zerbrechlich.
Rudi ging los, um Michi und Anna einen Drink zu besorgen. Er nahm mich kurz beiseite und kicherte. »Mach dir keine Sorgen um Michi, sie wird nicht die Einzige sein, die heute Abend anders aussehen wird.« Keine Ahnung, was diese Andeutung zu bedeuten hatte, aber auf eine Überraschung mehr oder weniger kam es auch nicht mehr an.
»’nen tollen Bruder hast du!« Michi war hin und weg, wer weiß, vielleicht konnte ich sie und Diane von Clemensanbeterinnen auf meinen Bruder umpolen. Diane! Siedend heiß fiel mir wieder ein, dass sie auch da war und Michi nichts davon ahnte. Schnell, ich musste zu Michi, um Schlimmeres zu verhindern. Zu spät, Michi steuerte geradewegs auf Diane zu, die sich in der Küche Nachschub von der Lachspastete geholt hatte.
Diane schaute Michi entsetzt an, zwang sich zu einem eher frostigen Lächeln und sagte laut und vernehmlich.
»Michi, wie schön, dich zu sehen, und welch originelle Kleidung.« Kein Hinterhertreten, kein gehässiges Lachen, stattdessen ging sie schnell weiter und Michi aus dem Weg. Glück gehabt, dachte ich bei mir. Wenn Diane auch nur ein dummes Wort hätte fallen lassen, wäre sie in hohem Bogen von mir persönlich vor die Tür gesetzt worden.
»Was macht die denn hier?« Michi drehte sich zu mir um und sah mich fassungslos an. Schnell klärte ich sie auf. Michi zuckte nur mit den Schultern.
»Na ja, was soll’s. Ich will mich heute amüsieren, komme, was wolle. Ist Clemens eigentlich schon da?«
Ja, diese Frage hörte ich schon den ganzen Abend aus verschiedenen Mündern, und ehrlich gesagt, mich interessierte auch, wo er blieb. Eigentlich sollte er schon lange da sein, ich hatte weder eine SMS noch eine Nachricht bekommen, und am Handy erwischte ich ihn nicht. Allmählich machte ich mir Sorgen, das war überhaupt nicht Clemens’ Art. Wer weiß, vielleicht war er schon da, und ich hatte ihn nur noch nicht in der gut mit Gästen gefüllten Wohnung entdeckt.
Dafür kamen gerade Ben und Liv zur Tür herein. Ben sah ziemlich gut aus, mit seinem schlichten schwarzen Shirt, Jeans, den grauen Converse dazu, und Liv am Arm. Sie waren zweifelsohne ein sehr attraktives Pärchen.
Kurz dachte ich an unsere Diskussion der verschiedenen Möglichkeiten von Liebe und überlegte, was für Liv vorgesehen war. Obwohl ich Liv seit diesem Gespräch viel mehr Mitgefühl entgegenbrachte, war sie umgekehrt keinen Deut netter zu mir. Wieso auch, sie ahnte weder, dass ich mit Clemens glücklich war, noch, dass mir jetzt erst klar wurde, wie schwierig Ben war.
Jeder, der nicht völlig abgestumpft war, spürte sofort, dass es zwischen Liv und mir Spannungen gab, auch wenn oder gerade weil wir offensichtlich versuchten, diese zu verbergen. Die neue, erschreckend nette Diane, die neben uns gestanden hatte, stellte sich sofort zu Liv und begann eine Unterhaltung. Klar, wer mich nicht leiden konnte, musste sich mit Diane verstehen. Es dauerte nur kurze Zeit, da lachten die beiden, sprachen sehr vertraut miteinander und flüsterten sich immer wieder etwas ins Ohr, das bestimmt mit mir, Ben und seinem Abiball zu tun hatte, zumindest konnte ich einige Wortfetzen aufschnappen, die das vermuten ließen. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!
»Auweia, ungefähr so muss es ausgesehen haben, als Thelma und Louise sich das erste Mal begegnet sind, nur dass bei diesen beiden Schätzchen der gemeinsame Feind kein Mann ist, sondern du bist!« Sarah,
Weitere Kostenlose Bücher