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erklären.«
»In dem letzten Brief riet sein Vater ihm, zur Polizei zu gehen. Könnte das etwas mit diesem Job zu tun gehabt haben?«
Ihr Gesicht war bleich, die Augen hatten den Ausdruck von Ratlosigkeit.
»Wie gesagt, er wollte nicht darüber reden. Meinen Sie, er ist da in was reingeraten?«
Gerne hätte Joshua genau darüber geredet. Über diese dunkle Ahnung, den Verdacht, der nicht zu greifen war, aber er schwieg. Rebecca verstand dieses Schweigen deutlicher als Worte, sie senkte ihren Kopf und schloss die Augen.
Joshua las die Jobangebote am Schwarzen Brett der Uni. Es erstaunte ihn, wie leicht es scheinbar für Studenten war, an eine bezahlte Nebentätigkeit zu gelangen. Wochen-
blätter suchten Aushilfsjournalisten, Hilfskräfte für leichte Büroarbeiten wurden ebenso gesucht wie Nachhilfelehrer. Mittendrin entdeckte er immer wieder Anzeigen von Pharmaunternehmen, die Probanden für medizinische Versuche benötigten. In den meisten Fällen war genau beschrieben, was die Interessenten erwartete. Joshua fiel die Anzeige eines Unternehmens ins Auge, das er nicht kannte. Gegen eine Entschädigung von einmalig 450 Euro sollten die Testpersonen sich achtmal Insulin eines bestimmten Herstellers spritzen lassen. Joshua fiel eine Nachricht aus dem letzten Jahr ein. Bei Medikamentenversuchen in England waren sechs Menschen ums Leben gekommen. Er fragte sich, wie groß die Not der Studenten sein musste, um an solchen Experimenten teilzunehmen. Markus Stachinsky war nicht arm. Die monatlichen Zuwendungen des Vaters machten ihn unabhängig. Er studierte Medizin. Konnte reines Interesse ihn dazu treiben, seinen Körper für wissenschaftliche Versuche zur Verfügung zu stellen? Joshua spürte eine Gänsehaut bei diesem Gedanken. Er notierte sich Adresse und Telefonnummer des Unternehmens in Dormagen und verließ die Uni. Unterwegs ärgerte es ihn, Thomas Stachinsky nicht aufgehalten zu haben. Er hatte sich von dessen Verhalten abwimmeln lassen, versäumt, sein Vertrauen zu gewinnen.
14
Gideon Lambert fühlte sich euphorisch, gleichzeitig spürte er eine tiefe Zufriedenheit. Seine Zweifel kamen nur zaghaft und undeutlich zurück. Warum war er auf der Liege festgeschnallt? Er musste lachen, konnte gar nicht mehr aufhören, ohne jeden Grund. Den ganzen Nachmittag über war Gideon beseelt vor Glück. Erst allmählich, als das Sonnenlicht nicht mehr durch die gewölbten Glaskuppeln des Daches eindrang und die gleichmäßige Kälte des Neonlichtes sich ausbreitete, wich die Euphorie. Erste Erinnerungen drangen in sein Bewusstsein. Der Doktor bestand darauf, dass er sich die Spritze selber setzte. Als angehender Mediziner könne man es nicht oft genug üben, lautete sein unwiderlegbares Argument. Der Student erinnerte sich an die Sekunden nach der Injektion. Es war ein Gefühl, als würde ein riesiger Scheinwerfer in seinem Gehirn eingeschaltet. Für einige Sekunden schien sein gesamter Körper in gleißendes Licht getaucht. Als das Licht erlosch, fühlte er sich leicht und unangreifbar. Er lächelte zufrieden, als ihm eine zweite Spritze gesetzt und kurz darauf Blut entnommen wurde.
Gideon sah sich um, er war allein. Langsam fühlte er eine innere Unruhe, eine beklemmende Nervosität aufkommen. Die Geräusche der medizinischen Apparate verstärkten dieses Gefühl. Die Kälte des bis unter die Decke weiß gefliesten Labors übertrug sich auf ihn. Gideon hatte genug, er wollte nach Hause. Ruckartig versuchte er, sich zu lösen. Die dicken Lederriemen quetschten seine Handgelenke. Ängstlich betrachtete Lambert seinen rechten Oberarm. Er war voller Einstiche. Vereinzelte Gedankenfragmente schlossen sich zu einer Kette und machten ihm Angst. Es musste gestern Morgen gewesen sein, als er diesen Raum betreten hatte. Die Zeit kreiste seitdem wie ein wilder Schwarm um ihn. Es gab nur wenige Augenblicke wie diesen, in dem sein Verstand halbwegs normal funktionierte. Er rief nach dem Doktor, dabei fiel ihm auf, dass er dessen Namen nicht kannte. Hatte er ihn vergessen, wie so vieles in den letzten Stunden? Aus der Tiefe seines Bewusstseins drangen erste Details in seinen Verstand. Er hatte den Doktor gefragt, ob er vom Tod seines Kommilitonen gehört habe. Gideon war Markus Stachinsky einmal hier begegnet.
»Ein Betriebsunfall«,
hallte es in seinem Kopf, bevor das gleißende Licht anging. Ist Markus hier in diesem Labor ums Leben gekommen? Kalter Schweiß bildete sich auf Lamberts Stirn. Er wollte nach
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