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dem Doktor rufen, als dieser hereinkam. Mit betont freundlichem Gesichtsausdruck beugte er sich über Gideon Lambert. Sein Lächeln wirkte abstoßend.
»Ich möchte nach Hause, bitte machen Sie mich los.«
Lambert spürte eine kalte Hand an seinem Unterarm. In diesem Moment wunderte er sich darüber, dass es außer dem Doktor kein Personal in diesem Labor gab. Dieser wandte sich von Lambert ab, nahm ein Fläschchen aus einem Wandschrank und zog eine Spritze auf.
»Nein! Ich will nicht mehr, hören Sie? Ich möchte nach Hause, ich steige aus. Bitte machen Sie mich endlich los«, seine Stimme war kraftlos, ohne jeden Mut, fast weinerlich. Als der Mann den Riemen an Lamberts Oberarm anzog, spannten sich die Muskeln des Studenten vor Angst. Der Doktor bemühte sich um ein sanftes Lächeln. Auf Gideon wirkte es wie die eiskalte Visage des Teufels.
»Gleich fühlen Sie sich besser«, bemerkte der Doktor und drückte die Spitze der Nadel in die Vene. Gideon wollte ihn noch einmal anflehen, als dieses grelle Licht seinen Körper erneut ausfüllte.
15
Als Joshua das Büro betrat, hätte er Schorndorf, dem Leiter der Behörde, beinahe die Tür ins Kreuz gerammt. Seine Gesichtszüge wirkten angespannt. Ein kurzer Blick zu Karin verriet Joshua den Ernst der Lage.
»Der Herr Trempe. Freut mich sehr, Sie auch mal wieder in diesen Räumen begrüßen zu dürfen. Darf man erfahren, womit Sie den lieben langen Vormittag zugebracht haben?«
Joshua schmiss die Lederjacke auf den Haken neben Schorndorf und setzte sich anschließend an den Schreibtisch.
»Ich habe im Fall der Drogentoten ermittelt, Herr Schorndorf.«
»Sieh an. Ich habe heute Morgen mit dem Staatsanwalt telefoniert. Er sagte mir, aus seiner Sicht gäbe es keinen Fall!«
»Aus meiner Sicht schon.« Joshua wollte ihm gerade von den Eindrücken seiner Ermittlungen berichten, als Schorndorf ihm ins Wort fiel.
»Während Sie Ihren«, er wedelte hektisch mit dem rechten Arm in der Luft, »Hirngespinsten nachjagen, ist die nächste Bank überfallen worden. Heute Nachmittag um drei geben wir eine Pressekonferenz. Überlegen Sie sich schon mal, wie Sie das den Medien erklären wollen!«
Schorndorf gab ihm keine Chance zu einer Antwort. Ohne ein weiteres Wort verließ er hastig das Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Joshua schüttelte ungläubig den Kopf. Daniel war unterwegs zum Tatort, einer Sparkasse in Viersen. Er berichtete Karin von seinem Besuch bei Bornmeier und seinen Ermittlungen in der Universität. Sie breitete hilflos die Arme aus.
»Okay. Wenn der Herr Staatsanwalt es so sieht, bitte.«
Joshua hob den Blick zur Decke und seufzte.
»Joshua! Jack liegt im Krankenhaus. Wir haben eine Serie von mittlerweile einem Dutzend Überfällen zu klären. Das Opfer des letzten Überfalls liegt im Koma, die Ärzte beurteilen seine Überlebenschance mit fünfzig zu fünfzig. Kann also durchaus noch ein Raubmord draus werden. Schorndorf möchte den Fall am liebsten gestern geklärt haben, kann uns aber keine Verstärkung zur Verfügung stellen. Wir brauchen dich jetzt hier!«
Widerwillig zog Joshua einen Stapel Akten zu sich her. Nacheinander blätterte er sie durch. Es fiel ihm schwer, sich auf diesen Fall zu konzentrieren. Stachinskys Vater ging ihm durch den Kopf. Seine Sicherheit, als er ihn nach dem Mörder seines Sohnes fragte. Das plötzliche Verschwinden, die Ungläubigkeit, die er mit jeder seiner Gesten ausdrückte. Joshua sah die stahlblauen Augen des Mannes vor sich. Selten hatte er einen solch eisigen Ausdruck gesehen.
Joshuas Augen waren auf das Foto eines zerstörten Geldautomaten gerichtet. Das Bild drang nur bis zu den Pupillen vor. Sein Bewusstsein präsentierte ihm die Wohnung des Opfers. Wer konnte einen Grund haben, dieses Zimmer zu durchsuchen? Was hatte Markus Stachinsky zu verbergen gehabt? Die Stimme des Radiosprechers drang für einen Moment in den Vordergrund. Er kündigte eine neue Frostperiode an und warnte gleichzeitig davor, die Eisfläche des Unterbacher Sees zu betreten. Gedankenlos sah Joshua aus dem Fenster. Erneut versuchte er, seine Konzentration auf die Akte zu lenken, als tief in seinem Unterbewusstsein ein Film startete.
Seit drei Tagen hatte eisiger Frost den Düsseldorfer Stadtteil Hamm im Würgegriff. Joshua war jeden Tag mit dem Fahrrad von Bilk durch den Hafen in das kleine Dorf nahe der Innenstadt gefahren, um Jack zu besuchen. Im Sommer hatten sie hinter der Dorfkirche bis zum Einbruch der
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