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dass Gideon Lambert Suizid begangen hat.«
Joshua hielt sein Wissen vorläufig zurück, er wollte mehr über das Opfer erfahren.
»Warum halten Sie einen Selbstmord für unwahrscheinlich, Herr Doktor Abel?«
»Der Suizid ist das Ende einer oftmals langen Entwicklung. Dieser Entwicklung vorausgehend sind gewisse seelische Zustände. Bei dem Patienten haben bestimmte Gefühle und Empfindungen wie Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit überhandgenommen. Er steht dem Wunsch zu sterben zunehmend ambivalent gegenüber. Nun, Gideon Lambert war, wenn ich das so sagen darf, das genaue Gegenteil eines solchen Patienten. Er war aufgeschlossen, agil und lebensfroh. Das ist natürlich keine Versicherung. Menschen können sich verstellen, aber«, Abel fuhr nachdenklich mit der flachen Hand über seine Haare, »es hat mich doch sehr gewundert.«
Joshua klärte ihn über den mutmaßlichen Mord an Gideon Lambert auf. Justus Abel wirkte fast ein wenig erleichtert. Joshua teilte dem Mediziner mit, man habe im Blut Lamberts verschiedene Antikörper nachgewiesen, vermied es aber, zu sehr ins Detail zu gehen.
»Das ist merkwürdig. Ich habe eben keine Antikörper gefunden, obwohl ich explizit danach gesucht habe. Merkwürdig«, wiederholte er.
»Haben Sie noch eine Probe seines Blutes?«
»Ja. Ich hebe die Proben immer einige Zeit auf.«
Joshua atmete erleichtert durch. Mit einem Vergleich dieser Proben müsste es möglich sein, den Tatzeitraum einzuschränken. Er erinnerte sich an die Aussage von Leonard Frantz, wonach Lambert nach dem Besuch bei Doktor Abel spurlos verschwunden war. Dies konnte bedeuten, dass Lambert direkt zum Täter gegangen oder von diesem entführt worden war. Somit wurde die Gefahr der Weiterverbreitung der Viren auf ein Minimum reduziert. Justus Abel versprach, die Blutprobe Lamberts umgehend zur Virologie der Uniklinik zu schicken.
»Benötigen Sie oder an diesem Netzwerk beteiligte Ärzte und Institute eigentlich Probanden?«
»Nein, wir betreiben lediglich Grundlagenforschung. Probanden werden hauptsächlich zur Medikamentenentwicklung benötigt und dort erst in der dritten Phase. Dass am Netzwerk beteiligte Institute Probanden benötigen, kann ich allerdings nicht ausschließen.«
Abel gab ihm eine Internetadresse.
»Auf dieser Website ist alles erklärt. Sie finden dort auch die anderen Netzwerke.«
Joshua machte sich nur geringe Hoffnungen, in diesen Netzwerken das gesuchte Labor zu finden. Allerdings konnten sich dort Türen öffnen und Hinweise bereithalten. Die Ermittlung begann wie ein zäher, trüber Fluss.
Er hielt Abels Hand noch in seiner, als aus dem Innern der Lederjacke die Melodie seines Mobiltelefons erklang. Auf dem Weg zum Auto hörte er Bornmeiers Stimme. Der Staatsanwalt klang ungewöhnlich leger.
»Mensch Trempe, warum sind Sie nicht einen Tag eher gekommen?«
Joshua konnte nicht verstehen, worauf der Jurist hin-auswollte.
»Ihr Vater hat sich im Datum geirrt. Der Bankraub ist seit heute Nacht um null Uhr offiziell verjährt!«
Joshua atmete tief durch, während er sich auf den Fahrersitz fallen ließ. Damit wäre er aus dem Schneider, aber ihm fehlte der Glaube.
»Unmöglich! Mein Vater kann sich nicht so irren.«
»In dem Fall schon. Die Polizei wurde damals verständigt, als die Alarmanlage anschlug. Das war gegen 0:30 Uhr morgens. Selbstverständlich ist das auch so in den Ermittlungsprotokollen vermerkt. Was ebenfalls in den Akten steht und von ihrem Vater vermutlich übersehen wurde, ist die Aufzeichnung der automatischen Kamera im Tresorraum.«
»Das soll mein Vater übersehen haben!«, fuhr Joshua dazwischen. In diesem Augenblick schämte er sich ein biss-
chen für das aufkeimende Gefühl der Freude. Seit Joshua damals die Polizeischule begonnen hatte, mahnte sein Vater ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit gebetsmühlenartig, die Details zu beachten. »Es sind oft die winzigsten Kleinigkeiten, die Kriminalfälle entscheiden«, war dabei sein Lieblingsspruch.
»Das wundert mich nicht. Auf den Bildern war nur für wenige Sekunden eine Hand im Handschuh zu erkennen, bevor es dunkel wurde. Absolut nichts Verwertbares, ich kann verstehen, dass die ermittelnden Beamten diesem Indiz nicht weiter nachgegangen sind.«
Joshua grübelte. Er konnte den tieferen Sinn von Bornmeiers Aussage nicht erkennen.
»Was hat die Kamera mit der Verjährung zu tun?«
»Ganz einfach. Die Szene mit der Hand wurde von der Kamera auch zeitlich erfasst. Demnach fand der für die
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