Flatline
seine Festnetznummer. Als sich niemand meldete, wählte er Corinnas Handy an. Sie war in der Klinik, hatte das Handy trotz Verbot angelassen. Ihre Worte brachte sie sehr leise und undeutlich hervor. Jacks Kreislauf war in der Nacht zusammengebrochen, erst heute Morgen konnten die Ärzte seinen Zustand stabilisieren. Das Fieber hielt unvermindert an, dazu kamen weitere innere Blutungen. In einer Stunde sollte er operiert werden. Resigniert legte Joshua den Hörer auf. Die Aussage Strietzels ging ihm wieder durch den Kopf. Die Antikörper im Blut von Gideon Lambert. Joshua nahm sich die Akte und blätterte nachdenklich darin. Bei den Aussagen des Sachbearbeiters der Gesundheitsbehörde stockte er. Joshua nahm sich das Telefonbuch und notierte eine Adresse. Anschließend zog er die alte Lederjacke über und verschwand.
25
Als Joshua die schiefergedeckte Villa in Kaiserswerth erreichte, bog ein Cabriolet der oberen Mittelklasse in die Toreinfahrt ein. Eine ältere Dame mit Einkaufstaschen einer Boutique auf der Königsallee stieg aus dem Wagen und musterte ihn. Joshua verzog sein Gesicht zu einem gequälten Grinsen und hielt der Dame seinen Dienstausweis entgegen. Sie betrachtete den Ausweis gründlicher, als er erwartet hatte, bevor sie ihn kritisch musterte. Ihr Make-up war eine Spur zu auffällig. Die kastanienrot glänzenden Haare standen in Widerspruch zum Gesamtbild. Trotz Make-up ließ ihre Haut den Herbst des Lebens durchschimmern.
»Sie wollen meinen Mann sprechen?«
Frau Abel wählte einen strengen Tonfall für ihre Frage. Ihre Körpersprache war eine Mischung aus Angriffslust und Respektlosigkeit.
»Hat er denn was verbrochen?«
Ihre Mundwinkel glitten ab, als würden sie von unsichtbaren Gewichten gezogen. Die Pupillen verkleinerten sich, schossen kleine Giftpfeile in seine Richtung. Pikiert drängte sie sich mit Taschen behangen an ihm vorbei. In der Haustür drehte sie sich noch einmal verächtlich um.
»Mein Mann ist in der Praxis. Guten Tag.«
Joshua wollte nach der Adresse fragen, die zufallende Haustüre verhinderte sein Anliegen. Kopfschüttelnd ging er zum Auto. Auf dem Bürgersteig schlenderte ein Rentner mit seinem Dackel vorbei. Der freundliche Mann erklärte ihm den Weg.
Joshua klingelte seit fünf Minuten an der Praxistür. Der helle Flachbau aus Sichtmauerwerk lag nicht weit von einem Einkaufszentrum entfernt. Er wollte sich auf den Weg um das Gebäude machen, als er ein Geräusch hinter der Tür vernahm.
Doktor Justus Abel reichte Joshua mit freundlichem Gesichtsausdruck die Hand. Offenbar war ihm der Grund seines Besuches sofort klar. Der Arzt geleitete Joshua in ein kleines Büro.
»Haben Sie heute Notdienst?«
»Nein. Dann hätte Ihnen sicherlich eine meiner Mitarbeiterinnen geöffnet. Ich bin nicht nur praktizierender Arzt, sondern auch forschend tätig. Was leider oft nur am Wochenende möglich ist.«
»Sie betreiben ein Forschungslabor?«
»Ja, gewissermaßen. Ich habe oft bereut, damals nicht ein paar Jahre drangehängt und in die klinische Forschung gegangen zu sein. Heute habe ich es zu einem ansehnlichen kleinen Labor mit recht guter Ausstattung gebracht. Mit staatlicher Unterstützung, aber immerhin.«
Joshua fiel das marode Gesundheitssystem ein. Nach jedem Reförmchen wurde den Patienten tiefer in die Taschen gegriffen und auf der anderen Seite bekam ein wohlhabender Arzt Unterstützung für sein Hobby?
»Forschen Sie in staatlichem Auftrag?«
»Als beamteter Arzt? Gott bewahre, nein. Die rot-grüne Regierung hat vor Jahren ein Programm ins Leben gerufen mit dem Namen: »Gesundheitsforschung 2000: Forschung für den Menschen«. Die Idee war, ein riesiges Kompetenzteam zu schaffen. Mittlerweile gibt es Netzwerke, an denen bis zu 160 Ärzte und Institutionen beteiligt sind. Regelmäßig finden Treffen statt, bei denen es zu einem regen Erfahrungsaustausch kommt. Ich gehöre dem Kompetenznetz Depression und Suizidalität an.«
Joshua machte sich Notizen. Aus seiner Sicht schienen Depression und Suizidgefährdung nichts mit dem Aufgabengebiet eines Arztes der inneren Medizin gemein zu haben. Er wollte nicht näher darauf eingehen. Sein Anliegen war ein anderes.
»Sie haben sicherlich vom Tod Gideon Lamberts gehört?«
Abels Mimik wurde plötzlich ernst. Seine Lippen bildeten eine dünne Linie. Mit skeptischem Blick antwortete er.
»Herr Frantz vom Gesundheitsamt hat mich verständigt. Ich kann es immer noch nicht glauben. Es ist geradezu unmöglich,
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