Flatline
Verjährungsfrist ausschlaggebende Beginn der Tatausübung am zweiten März 1987 um 23:58 Uhr statt. Heute haben wir den dritten März 2007, die Tat ist also verjährt. Es fehlen exakt zwei Minuten. Ich kenne den IQ von Stachinsky nicht, bin aber dennoch davon überzeugt, dass dieser Mann mehr Glück als Verstand hat.«
Wie sage ich es meinem Vater, war der erste Gedanke. Seit zwanzig Jahren hatte dieser die Kopien aller Akten, die den Bankraub auch nur im Entferntesten berührten, bei sich zu Hause. Immer auf der Suche nach dem einen übersehenen Detail und dann das. Joshua bemühte sich, es zu verdrängen. Er rief Seifert an.
»Hallo Elmar. Habt ihr die Adresse von Stachinsky?«
»Nein. Wir haben alle Hotels und Pensionen abtelefoniert. Negativ.«
Resigniert drückte Joshua auf die Taste mit dem kleinen roten Hörer und fuhr zum LKA. Er ging direkt zum »technischen Zeichner« durch, wie sie den Kollegen Michalkenannten, der mithilfe eines Computers aus den Erinnerungen von Zeugen ein Bild anfertigte. Zwei junge Männer und Alexa, das Mädchen, das Joshua in Stachinskys Zimmer geführt hatte, saßen um einen Monitor. Joshua stellte sich hinter sie.
»Kommt ihr voran?«
Michalke rümpfte die Nase.
»Der Täter ist zwischen 1,50 und 2 Meter groß. Hilft euch das weiter?«
Die Zeugen drehten sich pikiert um.
»Er ist auf jeden Fall kleiner als dieser Herr«, sagte einer der Männer und deutete dabei auf Joshua.
»Quatsch«, fuhr das Mädchen dazwischen. Er ist mindestens eine Handbreit größer.«
Michalke seufzte. Er begann damit, ein Dutzend Nasen anzubieten. Bei jedem einzelnen Riechorgan entfachte eine Diskussion unter den Zeugen. Michalke drehte sich zu Joshua um, stieß genervt seinen Atem aus. Anschließend schob er Nase Nummer dreizehn ins Bild. Nachdem das Abstimmungsergebnis zunächst mit einem für Michalke unbefriedigenden 2:1 ausging, gab die junge Frau schließlich nach. Zufrieden öffnete Michalke die Datei mit den Mündern. Joshuas vage Hoffnung war zu dem Zeitpunkt bereits erloschen. Das halb fertige Phantombild hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Thomas Stachinsky. Mit einem kurzen Gruß verschwand er.
Bereits auf dem Flur war Karins energische Stimme zu vernehmen. Kaum im Büro, bekam Joshua mit, wie seine Kollegin wutentbrannt den Hörer aufknallte. Sie war außer Atem, ihre Stirn gerötet. Allmählich beruhigte sich ihr Puls wieder. Daniel stand vor dem großen Spiegel, den er eigenhändig an die Wand hinter Karin gehängt hatte, und entfernte geduldig ein Haar aus seiner Nase.
»Der spinnt doch!«, entfuhr es Karin unvermittelt. Die Rede war von Tom. Der Kollege vom Dezernat Wirtschaft durfte sich seit drei Wochen ihr Exmann nennen. Tom war der Ansicht, Karin hätte aufgrund ihrer beruflichen Situation nicht die Möglichkeit, sich ausreichend um die Kinder zu kümmern. Tom war vor einem halben Jahr ins Haus der Eltern seiner Freundin Sabine in der Nähe von Korschenbroich eingezogen. Es handelte sich dabei um einen zum Landhotel umgebauten ehemaligen Bauernhof.
»Ideal für Kinder«, imitierte sie seine Stimme und tippte sich gleichzeitig mehrmals den Zeigefinger an die Stirn.
»Robin ist sechzehn und Carmen wird im Mai achtzehn, ideal für Kinder«, wiederholte sie höhnisch.
Was Karins Seele aber endgültig zum Kochen gebracht hatte, war Toms Vorhaben, in Zukunft auf eine Halbtagsstelle zu wechseln. Schorndorfs Einverständnis habe er sich schon geholt und es ginge lediglich noch darum, die Kinder von dieser Idee zu überzeugen sowie die Höhe des von ihr zu zahlenden Unterhaltes möglichst außergerichtlich in »gegenseitigem Einvernehmen zu regeln«.
Karin dachte an die Scheidung vor wenigen Wochen. Ihre Wut kehrte zurück. Ihr Anwalt, ihre Freunde, alle hatten ihr dringend davon abgeraten, auf Unterhalt zu verzichten. Sie kamen mit ihrem Gehalt klar. Es gab keine Veranlassung, von Tom Alimente zu fordern. Es war auch ihr Stolz, der sie daran gehindert hatte. Sie wollte auf niemanden angewiesen sein, zuallerletzt auf ihren Exmann. Sie nahm sich vor, am Abend ein intensives Gespräch mit ihren Kindern zu führen.
»Wie klappt es mit dem Phantombild?«
»Prima. Der Täter ist nicht 1,82 Meter groß. Soviel wissen wir schon mal.«
»Wie kommst du denn da drauf?«
»Weil er laut unserer Zeugen entweder größer oder kleiner ist als ich.«
Daniel las mittlerweile aufmerksam die Berichte der Gerichtsmedizin. Als wolle er deren Richtigkeit überprüfen,
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