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dem Weg zu Bornmeier, da biss Joshua sich bereits auf die Lippen. Bornmeier brachte aber genügend Souveränität auf, ihm diese Bemerkung nicht übel zu nehmen.
»Ich wünschte mir, Sie könnten die Dinge einmal aus meiner Perspektive sehen.«
Das wünschte Joshua sich auch. Es kam immer wieder vor, dass er die Handlungsweise des Staatsanwaltes nicht nachvollziehen konnte. Thomas Stachinsky fiel ihm ein. Der Uraltbankraub musste noch bearbeitet werden. Joshua malte sich aus, wie sein Vater den ganzen Tag nervös neben dem Telefon verbrachte und auf die Erfolgsmeldung wartete. Ihm war nicht wohl dabei. Die Zeile am Schluss des letzten Briefes ging ihm durch den Kopf. Stachinsky mahnte seinen Sohn, zur Polizei zu gehen. Ein Mann, der zwanzig Jahre am anderen Ende der Welt verbrachte, weil er eine Bank überfallen hatte. Ein Vater, dessen Nähe zu seinem Sohn sich auf Briefe beschränkte. Mehr noch, Stachinsky kam wenige Tage vor der Verjährung seiner Tat nach Deutschland zurück und riskierte eine lange Gefängnisstrafe. Dafür musste es einen triftigen Grund geben. Gestern hatte Stachinskydeutlich gemacht, wie gering sein Vertrauen in die Polizei war. Wenn sie ihn nun verhaften würden, dürfte seine Kooperationsbereitschaft gegen null tendieren. Joshua blieb keine Wahl. Er durfte nicht auf Zeit spielen. Abgesehen davon, dass er sich strafbar machte, würde das Verhältnis zu seinem Vater wohl tiefe Risse erleiden.
Joshua biss auf die Zähne und berichtete Bornmeier detailliert von dem Bankraub vor fast genau zwanzig Jahren. Der Staatsanwalt pfiff anerkennend.
»Glückwunsch, mein Lieber. Da können wir den Medien auch mal wieder was Positives präsentieren. Wann läuft die Verjährungsfrist denn ab?«
»Heute. Wir wissen allerdings nicht, wo Stachinsky sich aufhält.«
»Das macht nichts. Sobald der Haftbefehl ausgestellt ist, unterbricht die Verjährungsfrist. Aber«, Bornmeier wurde nachdenklich, »das muss Stachinsky doch auch gewusst haben. Warum riskiert er das?«
Joshua zuckte nur stumm mit den Schultern.
24
Die Ereignisse überschlugen sich. Die Krefelder Staatsanwaltschaft in Person von Viola Lubjuhn hatte zeitgleich, wenn auch aus anderen Beweggründen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Somit wurde den Krefelder Kollegen auch die Leitung der Ermittlung übertragen. Schorndorf war zähneknirschend der Anweisung des Staatsanwaltes gefolgt und hatte eine 15-köpfige Sonderkommission gegründet. Die Aufgabe des Landeskriminalamtes bestand nun darin, die Kollegen zu beraten, sowie ihnen mit ihren technischen Mitteln und ihrem Wissen zur Seite zu stehen. Aufgrund der Möglichkeiten, die dem LKA zur Verfügung standen und der geografischen Nähe wurde man sich einig, Öffentlichkeitsarbeit und Lagebesprechungen nach Düsseldorf zu verlagern.
Das Innenministerium hatte nach einer eiligst einberufenen Krisensitzung den Beschluss gefasst, die Öffentlichkeit umgehend zu informieren. Bornmeier hatte ohne Zögern die Öffentlichkeitsfahndung zugelassen. In der vor einer Stunde beendeten Pressekonferenz wurde ein Bild von Gideon Lambert verteilt. Zwar diente diese Vorgehensweise in erster Linie dem Zweck, herauszufinden, ob und wer möglicherweise mit dem Studenten in Kontakt gekommen war und sich so mit den lebensbedrohlichen Erregern infiziert haben könnte, auf der anderen Seite bestand aber auch die Möglichkeit, Hinweise zu erlangen, die zum Täter führen könnten. Die Nachricht schlug in der Medienwelt wie eine Bombe ein. Der WDR hatte sein komplettes Programm geändert und berichtete ununterbrochen in Sondersendungen von dieser Seuche, wie der Radiosender es dramatisch formulierte. Joshua hielt diese Panikmache für absolut übertrieben. Seiner Meinung nach dürfte Gideon Lambert die letzten Tage seines Lebens wohl kaum in Freiheit verbracht haben.
Eine Abordnung von zehn Kollegen aus Krefeld war inzwischen eingetroffen, unter ihnen auch die Staatsanwältin Viola Lubjuhn. Gemeinsam mit den Kriminalisten des LKA traf man sich in einem Sitzungssaal im Erdgeschoss. Es galt nun, möglichst rasch die Ermittlungen zu koordinieren.
Noch bevor diese offiziell begannen, musste Joshua die erste Niederlage einstecken. Schorndorf berief Rafael Gamerschlag vom Dezernat 61 zum Leiter der Sonderkommission »Virus«. Daniel und Joshua waren erst seit einem Jahr beim LKA, mit Karin Seitz hatte Schorndorf sich schon vor Jahren überworfen. Als Joshua den Behördenleiter im Flur vor dem
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