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Flatline

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Titel: Flatline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Kohl
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Schmelzen bringen?
    »Dein Vater hat übrigens Besuch.«
    »Wer besucht denn einen sturen, alten Bock?«
    Sie zuckte die Schultern. Über ihr Gesicht flog ein Lächeln.
    »Weiß ich nicht. Ich habe den Herrn noch nie gesehen.«
    Joshua ging ohne die geringste Vermutung, wer der Besucher sein könnte, zum Haus. Er überlegte, warum das so war. Jeder hatte doch irgendeine Ahnung, wer seinen Vater besuchen könnte. Joshua durchforstete seine Erinnerungen, ging weit zurück bis in die Jugend. Damals besuchten ihn hin und wieder ehemalige Kommilitonen. Sie tauschten gemeinsame Erinnerungen aus, ohne ihre Freundschaften mit frischem Leben zu erfüllen. Seine Mutter meinte damals, sein Vater würde am liebsten als Eremit irgendwo in einer Berghütte leben, umgeben von Ziegen und Hühnern, solange die ihm nicht zu nahe kämen. Joshua kannte auch die andere, die hellere Seite seines Vaters. Zwei Jahre hatten sie in derselben Dienststelle gearbeitet. Gunther Trempe war unter den Kollegen sehr beliebt. Sie schätzten seine Hilfsbereitschaft, den trockenen Humor und die meist gute Laune. Einmal fragte Joshua seinen Vater, warum er keine Freunde habe. Er antwortete: Habe ich doch. Drei sehr gute sogar: Manuel, Mutter und dich.
    Im Flur vernahm er die Stimme seines Vaters. Sie klang behutsam, mitfühlend. Er schien ein ausgesprochen nettes Gespräch zu führen. Zufrieden hängte Joshua seine Jacke an die Flurgarderobe und betrat das Wohnzimmer.
    Hallo Vater, wollte er sagen. Aber die Worte blieben an seinen Lippen kleben und versiegten. Joshua hatte mit niemand besonderem gerechnet, als seine Mutter den fremden Mann erwähnte. Er starrte die beiden Männer sprachlos an. Sein Verstand war unfähig, dafür auch nur den Ansatz einer Erklärung zu liefern.
    Sein Vater wirkte leicht amüsiert.
    »Darf ich dir Herrn Stachinsky vorstellen. Was sag ich, ihr kennt euch ja bereits.«
    Joshua gewann seine Fassung zurück. Er gab seinem Vater die Hand, wendete sich Stachinsky zu, zögerte einen Augenblick und begrüßte ihn schließlich ebenfalls mit Handschlag. Anschließend setzte er sich in die Mitte.
    »Falls es dich tröstet, Joshua, ich war vor zwei Stunden, als Herr Stachinsky vor der Tür stand, genauso fassungslos wie du.«
    Merkwürdigerweise war der erste Gedanke, der Joshua kam: Wenigstens duzen sie sich nicht. Die Szenerie wirkte so widersinnig vertraut. Was bezweckte Stachinsky mit diesem Besuch? Worüber haben sie sich zwei lange Stunden unterhalten?
    »Herr Stachinsky hat mir alles erzählt. Sein ganzes Leben, und weißt du was«, Gunther Trempe beugte sich nach vorne, in seinen Augen war ein eigenartiger Glanz erkennbar, »mir macht es nichts mehr aus, dass wir ihn damals nicht verhaften konnten.«
    Gunther Trempe erzählte eine Kurzfassung von diesem Gespräch. Von einem Sohn namens Markus, der ohne das Geld aus dem Banküberfall schon kurz nach seiner Geburt gestorben wäre. Von einer Mutter, die man kurz zuvor mit einer Nadel im Arm in einer Bahnhofstoilette gefunden hatte. Es war die traurige Geschichte über ein Leben auf dem Abstellgleis der Gesellschaft. Die Geschichte über einen Mann, dessen Verhängnis es war, sich als Siebzehnjähriger in die gleichaltrige Helena zu verlieben. Während sein Vater erzählte, wanderten Joshuas Augen immer wieder zu Stachinsky. Der Mann wirkte gelöst, von einem inneren Frieden beseelt. Es schien, als habe er sich von einer Last befreit. Joshua fand die Vermutung absurd, der Mörder von Jonas Fahnenbruck säße neben ihm. Möglicherweise wusste Stachinsky gar nichts von dessen Tod, hatte das Opfer vielleicht als Letzter lebend gesehen. Dass Stachinsky am Tatort gewesen war, belegte das Phantombild in Verbindung mit der Zeugenaussage zweifelsfrei. Ohne Grund war er sicherlich nicht mitten in der Nacht mit einem Taxi dort hingefahren.
    »Habt ihr schon Hinweise in dem Mordfall Fahnenbruck?«
    Joshua verschluckte sich an dem lauwarmen Kaffee. Seine Augen fixierten Stachinsky. Dieser blieb weiter ungewöhnlich gelassen.
    »Woher wissen Sie vom Mord an Jonas Fahnenbruck?«
    Stachinsky presste die Lippen aufeinander, langsam bewegte er den Kopf auf und ab.
    »Also gut. Ich bin letzte Nacht mit einem Taxi dort hingefahren, wollte mit Fahnenbruck reden. Aber dazu kam ich nicht. Ich wollte die Tür öffnen, hatte meine Hand schon an der Klinke, mehr weiß ich nicht mehr. Heute Morgen bin ich mit einer dicken Beule am Hinterkopf in einem Schrebergarten aufgewacht.

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