Flatline
davon.«
Joshua hätte den Arzt am liebsten mitgenommen. Beim LKA verfügten sie über Spezialisten für solche Gespräche. Aber das war riskant. Die Entführer konnten vom Parkplatz aus angerufen haben, ihn beobachten. Mwandalas Augen deuteten Zweifel an. Karin war erleichtert. Zweifel waren der erste Schritt. Zweifel zwangen zum Nachdenken, lenkten ab von Angst. Sie mussten die Chance nutzen.
»Was fordern die Entführer von Ihnen?«
»Es ist ein Mann. Er klang seltsam … kalt.«
»Was will er von Ihnen?«, hakte Karin sofort nach.
Mwandala wurde nervös. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her.
»Ich soll die Blutreserven verseuchen.«
Doktor Mwandala erzählte ihnen von der Forderung. Er gab Joshua den Briefumschlag, in dem sich die Flasche mit den Erregern befunden hatte. Mwandala hatte den Entführer angelogen. Er behauptete, die Forderung erfüllt zu haben in der Hoffnung, Kenyetta würde sofort freigelassen. Die Stimme begrub alle Hoffnungen. Seine Tochter, so der Anrufer, würde erst freigelassen, wenn die Ersten infiziert seien.
Joshua telefonierte mit dem LKA, um Mwandalas Handynummer durchzugeben. Die ankommenden Gespräche mussten ab sofort überwacht werden. Ohne die geringste Zuversicht gab er noch die Handynummer des letzten Anrufers weiter. Joshua spürte Tatendrang. Das Phantom hatte sich gemeldet. Der Täter kam aus der Höhle, endlich kam die Ermittlung in Gang. In der Kriminalstatistik glänzten Entführungsdelikte mit der höchsten Aufklärungsquote. Joshua verdrängte die Tatsache, dass dies zumeist dem Umstand einer Lösegeldübergabe zuzuschreiben war, bei der die meisten Täter gefasst wurden. In ihrem Fall aber konnte der Entführer auf jeglichen persönlichen Kontakt verzichten, was die Sache ungleich schwerer machen würde. Nach wenigen Minuten schlenderte ein verliebt aussehendes Pärchen Hand in Hand über den Flur. Als die beiden das Büro von DoktorMwandala betraten, wurden sie umgehend von Joshua eingewiesen. Die Tarnung war notwendig, da Gefahr bestand, vom Täter beobachtet zu werden.
Frau Grunert begleitete Karin und Joshua auf die Intensivstation. Sie zogen sich Kittel, Haarnetze und Mundschutz über.
Beim Anblick ihres Kollegen erschraken die Ermittler. Jack wirkte ausgemergelt. Die Haut hing wie ein trockener Lappen auf den Knochen der Hände. Joshua schluckte, sein Freund hatte das Charisma eines Greises. Er atmete sehr flach. Die grünen Zacken wanderten langsam, aber gleichmäßig über den Monitor. Joshuas Augen hafteten daran. Es kam ihm wie ein langes Band vor, das jemand vorbeizog. Keiner wusste, wie lang es war, aber am Ende würden die Zacken verschwinden, übergehen in einen dünnen Strich, dieFlatline. Joshuas Augen wurden feucht. Er spürte Karins Hand auf seiner Schulter. Langsam erhob er sich. In der Tür drehte er sich noch einmal um. Jack hatte die Augen geschlossen.
»Und jetzt?«, Joshua startete den Motor und bog langsam auf die Universitätsstraße.
»Was und jetzt?«
Karin wirkte irritiert, während sie das Handy aus der Tasche zog. Fingerfertig tippte sie die Nummer ein.
»Hallo Herr Schorndorf. Wir müssen für Morgen in aller Frühe eine Pressekonferenz einberufen. Außerdem brauchen wir den Leiter der Uniklinik. Er muss sofort in die Dienststelle gebracht werden, egal ob er gerade in einer Vernissage ist oder sonst was macht.«
Karin zog eine Grimasse und hielt das Handy eine Handbreit vom Ohr weg.
»Was ich mir erlaube oder nicht, erkläre ich Ihnen später. Es geht um Leben und Tod, habe ich mich klar genug ausgedrückt!«
»Nicht zu glauben. Wir arbeiten rund um die Uhr und unser Chef regt sich auf, dass ich seinen Feierabend störe.«
Joshua vernahm noch einen Moment die verzerrte Stimme des Behördenleiters, bis Karin das Gespräch durch einen Druck auf den kleinen, roten Hörer abwürgte. Joshuas fragender Blick wanderte zwischen der Fahrbahn und Karin hin und her.
»Der Entführer verlangt mit tödlichen Erregern infizierte Menschen, also bekommt er sie auch.«
»Ist dir klar, was das bedeutet. Da spielt Schorndorf garantiert nicht mit.«
»Wir brauchen ihm den wahren Grund für die PK ja nicht stecken. Joshua, wir haben keine andere Wahl!«
41
Joshua hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Eine halbe Stunde bevor der Wecker ihn üblicherweise aus den Träumen riss, stieg er aus dem Bett. Auf dem Weg nach unten hörte er ein Scheppern vor der Haustür, gefolgt von lauten Flüchen. Als er die
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