Flatline
Weiteres dort hineingelangen konnte, um einem Patienten Blut abzunehmen. Ihm selbst war es sogar mitten in der Nacht nicht gelungen, bis zu Jack vorzudringen. Gab es Komplizen innerhalb der Uniklinik? Als Daniel Minuten später die Sitzung beendete, bat Joshua seine Kollegin, ihn zu begleiten. Kalle gestikulierte mit der Kaffeetasse am Mund wild herum, was die anderen den Aufbruch unterbrechen ließ.
»Verdammt, das habe ich total vergessen. Wir haben doch einen Zeugen. Martin Krieger, Versicherungsvertreter. Er gab an, gesehen zu haben, wie Patrick Schönfeld mit dem Feuerzeug einen Löffel erhitzte.«
Joshua sah ihn ernst an.
»Hat er das so gesagt? Das wird Schönfeld nicht von sich aus gemacht haben, oder?«, er drehte sich zu Strietzel um.
»Nein. Mit Dormicum im Körper machst du zwar alles, aber nur, wenn es dir gesagt wird. Der Verstand ist quasi abgeschaltet.«
»Also muss noch jemand dort gewesen sein. Der hat euren Zeugen gesehen und sich versteckt.«
»Ja, so wird es wohl gewesen sein«, Kalles Euphorie verflog so schnell, wie sie gekommen war. »Das Merkwürdige daran ist, dass dieser Krieger verschwunden ist. Sein Handy ist abgeschaltet. Auf dem Protokoll ist eine Adresse in Solingen angegeben. Da ist er aber nicht gemeldet. Die auf der Visitenkarte angegebene Versicherungsagentur ist beim dortigen Gewerbeamt auch nicht gemeldet.«
»Hm, das ist wirklich merkwürdig.«
Für eine Minute wurde es ruhig. Karin beugte sich vor und blickte mit gerunzelter Stirn in die Runde.
»Nehmen wir mal an, es handelt sich um den Täter. Er ist nachts gesehen worden und gibt sich als Zeuge aus.«
Kalle schüttelte den Kopf.
»Bisher haben wir niemanden finden können, der irgendwas gesehen hat. Übrigens, morgens haben wir ihn im angegebenen Hotel erreicht und noch einmal zum Tatort gebeten.«
»Warum sollte der Täter sich dann nach der Tat bei uns melden?«, Daniel glaubte nicht an Karins These. Kalle spielte nervös mit seinem Kugelschreiber, nickte dabei.
»Kann schon Sinn machen. Es gab einige Ungereimtheiten. Ein Zeuge, der aussagt, das Opfer bei der Zubereitung des letzten Schusses gesehen zu haben, hätte unsere Bedenken ausräumen können.«
Das wäre verwegen, aber möglich. Joshua dachte an das Gespräch mit Seifert. Der Zeuge vom Park am Schwanensee war ebenfalls auffällig gewesen. Ungereimtheiten gab es auch beim Tod von Markus Stachinsky. Joshua kannte den Park, ging früher gelegentlich dort spazieren. Länger als zehn Minuten konnte dort niemand unbeobachtet auf einer Bank verbringen. Kein Junkie würde diesen Ort wählen, zumal durch die räumliche Nähe zum Innenministerium auch mit erhöhter Polizeipräsenz gerechnet werden musste.
»Was wissen wir von dem Zeugen in Düsseldorf?«, fuhr Karin in seine Gedanken.
»Don Corleone«, Joshua schmunzelte, »oder mit bürgerlichem Namen Marcel Tonello. Können wir wohl vergessen. Typischer Geschäftsmann der jungen Generation. Seifert meinte, er sähe aus wie ein Mafioso. Nadelstreifen, pfundweise Gel in der Frisur und eine dunkle Sonnenbrille im Winter. Wahrscheinlich noch ein Handy am Ohr festgewachsen.«
Kalle schnappte nach Luft. Der Löffel, mit dem er die sechs Klümpchen Zucker in der halb gefüllten Tasse verrühren wollte, glitt ihm aus der Hand.
»Was ist, kennst du den etwa?«, hakte Joshua nach.
»Du hast eben unseren Zeugen beschrieben!«
»Das gibts doch nicht«, Karin schlug mit der Hand auf den Tisch, Kaffeetassen klirrten.
»Der Täter springt vor unserer Nase herum und wir erkennen ihn nicht.«
»Na denn«, Joshua sprang hoch, deutete dabei auf Kalle, »auf zu Michalke, wir brauchen sofort ein Phantombild.«
40
Es schneite seit Stunden. Mit einem waghalsigen Manöver überholte Joshua kurz vor einer Kreuzung einen Streuwagen der Stadtwerke. Im Augenwinkel sah er noch das Rotlicht der Ampel. Im Innenspiegel blinkten die Scheinwerfer des LKWs auf. Karin klammerte sich an ihren Gurt.
Die Besucherparkplätze waren fast leer. Der Pförtner hatte sie erst hineingelassen, als Joshua ihm den Dienstausweis unter die Nase hielt.
Auf dem Flur vor der Intensivstation kam ihnen Schwester Grunert entgegen. Als sie Joshua erkannte, rümpfte sie die Nase. Sie bedachte Karin mit einem kurzen Seitenblick, bevor sie die beiden begrüßte.
»Der Herr Kommissar, heute mal ohne Koch?«
Karin zog die Stirn kraus, sah die beiden fragend an.
»Ja. Das ist meine Kollegin, Frau Seitz.« Die Krankenschwester nickte nur.
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