Flatline
Joshua verabschiedeten sich mit einem herzlichen Dankeschön vom Professor. Pille Gamerschlag war außer sich.
»Sagt mal, spinnt ihr oder was?«
Karin baute sich vor ihm auf und stemmte die Arme in die Hüften. Joshua wusste, was das bedeutete.
»Wenn du nicht dauernd durch Fehlzeiten glänzen würdest, könnten wir dich auch mal mitspielen lassen. Aber der Herr war ja gestern Abend mal wieder nicht da, lässt uns alleine arbeiten«, ihr Gesicht wurde rot vor Zorn.
»Ihr hättet mich wenigstens einweihen können. Immerhin leite ich die Ermittlungen. Lasst mich danebensitzen wie einen dummen Jungen.«
»Der dumme Junge passt. Wir haben gestern Abend, während du auf der Couch gelegen hast, noch Berichte geschrieben. Wenn der Herr Ermittlungsleiter die Zeit finden würde, diese durchzulesen, würde er sich auch nicht wie ein dummer Junge vorkommen!«
Gamerschlags Mund ging auf und zu, ohne dass ein Wort über seine Lippen kam. Ruckartig fuhr er herum und stampfte den Gang hinunter.
»Das wird ein Nachspiel haben, Frau Seitz«, rief er noch, bevor die Bürotür mit lautem Knall zuschlug.
Karin murmelte Worte, die Joshua aus ihrem Mund nicht erwartet hätte. Inzwischen kam Daniel hinzu. Aufgrund seiner zuweilen übertriebenen Freundlichkeit hatte er stets Schwierigkeiten, Journalisten abzuwimmeln. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Besorgnis ab.
»Schorndorf kann jeden Augenblick explodieren. Ich finde, wir sollten eine ordentliche Grippe einreichen und uns die nächsten drei Wochen nicht im Büro blicken lassen.«
»Das nutzt nichts«, schmunzelte Karin, »da muss er durch.«
Wie auf ein Stichwort wurde die Tür zum Presseraum aufgerissen. Schnaubend wie ein Stier kam Schorndorf mit hochrotem Kopf den Flur entlang.
»Sie kommen umgehend in mein Büro!«, schrie er auch sofort los. Joshua sah auf die Uhr. In zehn Minuten fand der Haftprüfungstermin statt. Er verzichtete darauf, Schorndorf die gebotene Eile mitzuteilen.
»Ich glaube, es zieht ein Gewitter auf«, flüsterte Daniel unterwegs. Sie hatten sich noch nicht ganz hingesetzt, da brüllte Schorndorf los.
»Was haben Sie sich dabei gedacht. Das war eindeutig ein Affront gegen mich. Das wird Konsequenzen nach sich ziehen, darauf können Sie sich verlassen. Ich bin Ihre Alleingänge gründlich satt«, er schrie so laut, dass seine Stimme vermutlich die gesamte Etage beschallte. Joshua bemerkte, wie sich die Härchen auf Karins Handrücken aufrichteten. Langsam und unbemerkt von Schorndorf nahm sie einen Aktenordner von einem Beistelltisch neben sich. Völlig unerwartet knallte sie die Akte mit Wucht auf eine leere Stelle des Schreibtisches. Schorndorf erschrak derart, dass er mitten im Satz stoppte und den Kugelschreiber, mit dem er drohend herumwedelte, fallen ließ.
»Wissen Sie, was ich leid bin? Ihre permanenten hysterischen Anfälle. Ihre Wichtigtuerei steht mir bis hier«, sie strich mit dem Zeigefinger an der Stirn entlang, »hätten wir Sie informiert, hätte es gar keine PK gegeben.«
»Nein, hätte es nicht«, schrie er zurück.
»Dann wäre ein unschuldiges Mädchen gestorben. Als Opfer Ihrer unverschämten Eitelkeit. Wir können den Medien auch gerne mitteilen, dass sich der Leiter der Behörde bei einer Vernissage vergnügt, während in seiner Dienststelle der Baum brennt! Noch was: Falls Sie weiterhin herumbrüllen, können Sie diese Unterhaltung als Selbstgespräch fortsetzen!«
Daniel warf ihr einen anerkennenden Blick zu. Schorndorf schluckte. Seine Stirn glänzte feucht. Mit Karins Offensive hatte er augenscheinlich nicht gerechnet. Man konnte ihm die Intensität ansehen, mit der er die Situation überdachte. Seine Führungsqualitäten waren in der Vergangenheit häufig Grund für Diskussionen gewesen. Speziell mit der Gewerkschaft hatte es in den letzten zwei Jahren einige Auseinandersetzungen gegeben.
»Warum haben Sie die Entführung nicht erwähnt?«
Schorndorf sprach betont leise. Die Situation glich einem Ballon, aus dem eine Zehntelsekunde vor dem Platzen die Luft gelassen wurde.
»Okay.«
Nachdem Karin ihre Atmung beruhigt hatte, erklärte sie ihm detailliert den Sachverhalt. Schorndorf verfolgte ihre Ausführungen ruhig und aufmerksam.
»Das hätten Sie mir auch vor der PK sagen können.«
»Wann sind Sie denn gekommen?«
»Zehn vor acht«, antwortete er kleinlaut.
Gernot Priem schob die Akte mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck zur Seite. Der Haftrichter sah Joshua zweifelnd an.
»Hm. Das ist dünn,
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