Flatline
als stark, aufrecht und einfühlsam beschrieben hätte.
»Es gibt Tage, da schenkt der Herr uns keine frohen Botschaften. Heute ist so ein Tag. Uns bleibt nur die Hoffnung auf einen neuen.«
Kurzer Blickkontakt, Joshua öffnete den Mund, zögerte, schloss ihn wieder.
»Herr Doktor Mwandala, wenn wir Ihnen irgendwie helfen können, bitte sagen Sie es.«
Mwandala drehte sich herum, presste die Lippen aufeinander. Mit gesenktem Haupt setzte er sich an den Schreibtisch.
»Ich würde jetzt gerne alleine sein. Bitte.«
Vor dem Büro blieben sie noch eine Minute auf dem kahlen Gang stehen. Das Neonlicht spiegelte sich auf dem PVC des Fußbodens.
»Der ist ja völlig fertig.«
Karin nickte. Mit Daumen und Zeigefinger massierte sie ihr Kinn.
»Vielleicht ist ein Kind gestorben, das im Alter seiner Tochter war. Es würde mich genauso mitnehmen.«
»Ja, so könnte es sein. Aber dann hätte Frau Grunert davon gewusst.«
Schweigen. In dem Augenblick, als sie den Gang hinunter zur Intensivstation gehen wollten, vernahmen sie Mwandalas Stimme. Er war so aufgebracht, dass sie durch die dünnen Wände drang und den Flur beschallte.
»Ich will sie sprechen, sofort!«
Mehr konnten Karin und Joshua nicht verstehen. Sie stießen die Bürotür auf und sprangen hinein. Doktor Mwandala schmiss ein Handy quer über den Schreibtisch. Anschließend begrub er sein Gesicht in den Händen und weinte hemmungslos. Sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt.
»Was ist passiert, Doktor Mwandala?«, Karin schrie, als wolle sie ihn aus einem Albtraum befreien.
»Gehen Sie!«
Die Worte kamen gequält, bebend aus seinem Mund, als würde die Verzweiflung sie hindern wollen.
»Es geht um Ihre Tochter. Was ist mit ihr? Ist ihr etwas zugestoßen? Ist sie entführt worden? Bitte reden Sie!«
Karin klang eindringlich, energisch. Joshua war überrascht, als Karin fragte, ob sie entführt worden sei. Sein Mund wurde trocken, er fühlte, wie sich die Nerven anspannten. Was hatte das zu bedeuten? Fahnenbruck war tot, der Impfstoff offenbar entwickelt. Mwandalas Kopf lag immer noch in seinen Armen. Joshua schlich um den Schreibtisch und nahm vorsichtig das Handy des Arztes an sich. Er gab Karin ein Zeichen und verschwand lautlos auf dem Flur. Nach einigen Versuchen fand er die Liste der eingegangenen Anrufe. Joshua notierte sich die Nummer des letzten Anrufers. Danach tastete er sich durch das Register der gespeicherten Namen. Kenyetta, Ebele, die Namen hatte er noch nie gehört. Joshua drückte den Eintrag »Home«. Eine Festnetznummer mit Düsseldorfer Vorwahl erschien im Display.
»Mwandala.«
Joshua atmete erleichtert durch.
»Mein Name ist Joshua Trempe vom Landeskriminalamt Düsseldorf. Spreche ich mit Frau Mwandala?«
»Haben Sie sie? Geht es ihr gut? Können wir sie abholen?«
Sie klang aufgeregt. Der Akzent war deutlich. Joshua hatte nun die Gewissheit, dass die Tochter des Mediziners entführt wurde. Aber was sollte er der Mutter jetzt sagen? Er spürte einen Kloß im Hals.
»Noch nicht. Aber wir werden sie finden. Haben sich die Entführer bei Ihnen gemeldet?«
Aus dem Gerät kam nur leises Rauschen. Joshua biss sich auf die Lippen. Hätte er sensibler fragen sollen?
»Sie wollten sich doch bei meinem Mann melden. Er hat mir vor einer halben Stunde die schreckliche Nachricht mitgeteilt. Heißt das, sie … sie ist …«
»Nein«, Joshua beeilte sich, »nein, das heißt gar nichts. Wir haben noch nicht mit Ihrem Mann gesprochen, das ist alles.«
Er stockte, bemühte sich um einen beruhigenden Tonfall.
»Ich verspreche Ihnen, wir finden Ihre Tochter. Wie heißt sie denn?«
»Kenyetta. Ihr Name ist Kenyetta. Das bedeutet: die Unschuldige.«
Joshua hatte große Mühe, das Gespräch zu beenden. Er wollte der Mutter die Verzweiflung nehmen, ihr die nötige Kraft schenken, bevor er auflegte.
Karin hatte sich inzwischen einen Stuhl herangezogen und saß dicht neben Mwandala. Sie schwieg, ließ ihm Zeit für seine Gefühle.
»Bitte«, murmelte Mwandala, »ich kann Ihnen nichts sagen. Bitte gehen Sie.«
»Ich habe eben mit Ihrer Frau telefoniert. Wir wissen von der Entführung Ihrer Tochter. Und wir werden Ihnen helfen«, schob Joshua noch hastig hinterher. Mwandalas Kopf schoss hoch. Die Angst breitete sich wie ein Dämon über ihn aus.
»Sie wird sterben, falls ich die Polizei einschalte«, rief er.
»Das haben Sie doch gar nicht«, Karin sprach sanft auf ihn ein, »außerdem weiß niemand
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