Flatline
die Orlefson ihm gegeben hatte. Der Killer benutzte einen Anschluss immer nur für ein Gespräch, anschließend entsorgte er die Karte. In Spanien konnte man Prepaidverträge ohne Ausweiskontrolle abschließen. Es war eine doppelte Absicherung. Denn selbst wenn die deutsche Polizei wüsste, mit welchem Handy telefoniert wurde, bedurfte es noch dem langwierigen Genehmigungsverfahren der spanischen Behörden, um es abzuhören.
Sänger hatte die gesamte Liste durch. Keine der Nummern führte zum Erfolg. Die Unterwäsche klebte nass an seinem Körper. Unter den Armen breiteten sich rasch größer werdende Flecken aus. Lorena tanzte durch sein Bewusstsein. Seine Enkeltochter warf ihm fröhlich kreischend einen Ball herüber.
… wende ich mich vertrauensvoll an Ihre Familie.
Orlefson handelte umbarmherzig, wie eine Maschine ohne Herz und Seele. Er würde nicht eine Sekunde zögern, Lorena etwas anzutun, für ihn waren Menschen nur Mittel zum Zweck.
Er lässt mich schmoren, gleich wird er wieder anrufen. Er weiß genau, dass ich zahle, redete der Geschäftsführer sich ein. Warum soll er Gefahren auf sich nehmen, wenn er das weiß? Die Gedanken wanderten zu Ingar Orlefson. Zu den Verbrechen, die dieser Mann in den letzten Tagen begangen hatte, ohne die geringsten Anzeichen für das Vorhandensein eines Gewissens. Sängers eben erst aufgekommene Sicherheit zerbröckelte wie die dünnen Mauern aus Hoffnung, die seine Zuversicht tragen sollten.
Er füllte den Schwenker fast bis zum Rand mit Cognac. Es war nicht der Moment zum Genießen. Sänger setzte den Kelch an und leerte ihn in einem Zug bis zur Hälfte. Orlefsonkannte seine Situation genau, wusste, dass seine Familie nicht eingeweiht war. Es gab keine Möglichkeit, sie zu warnen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Erneut führte Sänger den Schwenker an seinen Mund, leerte ihn bis zum letzten Tropfen. Wärme durchflutete ihn. Nachdenklich lehnte er sich zurück, suchte nach einer Lösung.
Es dauerte nur ein Klingeln, bis Sänger sich meldete.
»Orlefson.«
Ingar Orlefson war ein Meister seines Fachs. Er nannte seinen Namen und verfiel sogleich in eine für Sänger albtraumhafte Stille. Hatte er Lorena? Sänger setzte sich mit einem Ruck aufrecht. Die Anspannung ließ seine Nerven vibrieren.
»Haben Sie es sich überlegt, oder bleibt es bei Ihrer Entscheidung?«
Einen winzigen Augenblick war er wieder der kühle Analytiker, der taktisch agierende Geschäftsmann. Orlefson wollte verhandeln, das passte nicht zusammen. Nicht mit der Aussage, es gäbe einen weiteren Interessenten. Diesmal stand die Hoffnung auf stabilerem Fundament. Aber etwas war größer. Die Angst riss die Mauern erneut ein.
»Sie bekommen Ihr Geld. Vier Millionen, wie Sie wünschen. Aber ich benötige noch Zeit, um es aufzutreiben.«
»In Ordnung. Morgen früh um zehn am üblichen Ort. Ich lasse Ihnen Formel und Impfstoff anschließend zukommen.«
Sänger hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er bis zum nächsten Morgen an das Geld kommen sollte. Er verdrängte dieses Problem als sekundär in den Hintergrund.
»Woher weiß ich, dass Sie mich nicht reinlegen?«
»Gar nicht.«
Orlefson antwortete gelassen, beinahe amüsiert. Sänger suchte fieberhaft nach einem Argument, das in der Lage war, seine aussichtslose Position aufzuwerten. Gleichzeitig fürchtete er bei jeder kurzen Pause, Orlefson könne erneut das Gespräch beenden.
»Orlefson, wir kennen uns doch. Lassen Sie uns die Dinge persönlich regeln. Dann besteht für beide Seiten kein Risiko.«
Orlefsons Lachen machte ihn wütend.
»Herr Doktor, ich habe kein Risiko. Ich bin im Besitz einer Ware, die weit mehr wert ist als läppische vier Millionen, schon vergessen?«
»Aber ich trage ein Risiko. Ein verdammt hohes, wie ich finde«, Sänger schrie ins Handy.
»Morgen früh um zehn.«
Sänger vernahm nur noch ein leises Klicken. Wütend schleuderte er das Telefon an die gegenüberliegende Wand.
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Die Veröffentlichung des Phantombildes brachte keinen Erfolg. Die Antwort von Interpol stand noch aus. Behutsam hatte die Psychologin Kenyetta mit der Zeichnung konfrontiert. Ihre Reaktion ließ keinen Raum für Zweifel. Krieger und Tonello waren eine Person, die vermutlich noch über weitere Identitäten verfügte. Dieser Mann hatteKenyetta Mwandala und Thomas Stachinsky entführt und dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der Mörder von Jonas Fahnenbruck sein. Joshua betrachtete die
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