Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
vernachlässigte Rasenstücke und Hecken und endete schließlich im Gehölz.
Der Zigeunerwagen stand noch so da, wie ich ihn verlassen hatte, allerdings war der Boden um ihn herum von Nagelschuhen (Feelys Ausdruck) zertrampelt.
Wieso zieht es mich eigentlich wieder hierher?, überlegte ich. Weil die alte Frau unter meinem Schutz gestanden hatte? Schließlich hatte ich ihr den Unterschlupf im Gehölz angeboten. Falls es um Wiedergutmachung ging, so war ich bereit, sie zu leisten, aber nicht aus schlechtem Gewissen.
Gry graste friedlich am anderen Ende der Lichtung. Jemand hatte ihn zurückgebracht und sogar daran gedacht, ihm einen Ballen frisches Heu hinzulegen, mit dem er jetzt kurzen Prozess machte. Er blickte gelassen zu mir herüber und widmete sich wieder seiner Mahlzeit.
»Du bist mir ja ein lustiges Kerlchen!«, sagte ich. Es klang allerdings eher, als ob ich mit einem Papagei sprach.
»Guter Gry«, berichtigte ich mich. »Braves Pferdchen.«
Gry hob nicht einmal den Kopf.
An einem Baum in der Nähe der Brücke leuchtete etwas Weißes: ein großes Schild, ungefähr sechs Fuß über dem Boden am Stamm angebracht. Ich ging hin und las: Polizeiliche Ermittlungen – Betreten verboten – Polizeirevier Hinley
Das Schild zeigte nach Osten – also weg von Buckshaw. Anscheinend hatte man es angebracht, um die Horden von Neugierigen fernzuhalten, die sich an solchen Schauplätzen des Blutvergießens zu sammeln pflegen wie Krähen auf einer Wintereiche.
Ich dagegen befand mich auf meinem eigenen Land. Mir konnte niemand unerlaubtes Betreten vorwerfen. Außerdem konnte ich immer noch behaupten, ich hätte das Schild nicht gesehen.
Ich stieg auf die Deichsel des Wohnwagens, breitete die Arme aus wie eine Seiltänzerin und trippelte die Schräge bis zum Kutschbock hinauf. Zu meiner Überraschung war die Tür wieder eingesetzt.
Ich sammelte mich, holte tief Luft, öffnete die Tür und trat ein.
Jemand hatte das Blut aufgewischt. Der ganze Boden war ordentlich geschrubbt, der stechende Geruch von Kernseife hing noch in der Luft.
Drinnen herrschte Schummerlicht. Ich ging weiter in den Wagen hinein – und blieb wie angewurzelt stehen.
Im Bett lag jemand!
Mein Herz schlug zum Zerspringen, und die Augen fielen mir fast aus dem Kopf. Ich hielt erschrocken den Atem an.
Ich erkannte, dass es eine Frau war … nein, keine Frau … ein Mädchen. Ein paar Jahre älter als ich vielleicht. Sie hatte rabenschwarze Haare und bräunliche Haut und war in ein unförmiges Gewand aus schwarzem Kreppstoff gehüllt.
Noch während ich reglos dastand und sie anstarrte, öffnete sie blinzelnd die dunklen Augen – und starrte mich an.
Plötzlich sprang sie wie angestochen aus dem Bett, griff sich etwas von einem Wandbord, und schon wurde mir der Arm auf den Rücken gedreht. Ich wurde an die Wand gedrückt und spürte ein Messer an meiner Kehle.
»Lass mich los! Du tust mir weh!«, stieß ich hervor.
»Wer bist du? Was willst du hier?«, fauchte sie. »Raus mit der Sprache, sonst schneid ich dir die Gurgel durch.«
Die Messerklinge drückte mir die Luft ab.
»Flavia de Luce«, keuchte ich.
Ach du grüne Neune! Jetzt fing ich auch noch an zu flennen! Aus dem Augenwinkel sah ich mich im Spiegel: meine vor Angst hervortretenden Augen … das Messer. Das Messer!
»Das ist ein Buttermesser«, krächzte ich.
Es war eine jener Situationen, über die man sich später amüsiert, aber gerade in diesem Augenblick war mir überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ich bebte vor Angst und Zorn.
Sie nahm das Messer weg, betrachtete die Klinge und versetzte mir einen unsanften Stoß.
»Hau ab«, sagte sie grob. »Zieh Leine, sonst hol ich das Rasiermesser. «
Das musste sie nicht zweimal sagen. Das Mädel war ganz offensichtlich geistesgestört.
Ich wankte zur Tür und sprang ins Gras, schnappte Gladys und war schon fast unter den Bäumen, als …
»Warte!«
Ihre Stimme hallte über die Lichtung.
»Hast du gesagt, du heißt Flavia? Flavia de Luce?«
Ich antwortete nicht, blieb aber stehen, wobei ich dafür sorgte, dass Gry auf alle Fälle zwischen uns blieb.
»Geh nicht weg«, rief sie. »Es tut mir leid. Ich wusste nicht, wer du bist. Man hat mir gesagt, dass du Fenella das Leben gerettet hast.«
»Fenella?« Meine Stimme zitterte immer noch.
»Fenella Faa. Du hast den Arzt geholt … hierher … gestern Nacht.«
Ich glotzte sie mit offenem Mund an wie ein Goldfisch. Ich musste erst einmal verarbeiten, dass die Furie, die mir
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