Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
Handgelenk und die schlanke weiße Hand hin. Verglichen mit ihren zarten Fingern hatte Tennysons Lady von Shalott unförmige Wurstfinger.
Ich hätte sie umbringen können!
Welches Recht hatte Feely, sich ungefragt zwischen mich
und den Mann zu drängen, der eigens nach Buckshaw gekommen war, um meine Fingerabdrücke zu nehmen? Das war unverzeihlich!
Ich muss allerdings einräumen, dass ich mir gelegentlich gewisse Tagträume gönnte, in denen der muntere kleine Sergeant meine Schwester heiratete und mit ihr in einem von Blumen überwucherten Cottage wohnte, wo ich zum Tee vorbeikommen und ihn in Fachgespräche über mein Lieblingsthema Giftmischer verwickeln konnte.
Sergeant Graves kam wieder so weit zur Besinnung, dass er »Ja« nuscheln und über die Schwelle taumeln konnte.
»Wie wär’s mit einer Tasse Tee und einem Keks, Sergeant?« Feelys Ton legte nahe, dass der arme Kerl überarbeitet, hundemüde und unterernährt war.
»Wenn ich so drüber nachdenke, habe ich tatsächlich Durst«, entgegnete er mit verschämtem Lächeln. »Und Hunger.«
Feely schob ihn in Richtung Salon.
Ich folgte den beiden wie ein getretener Hund.
»Ihre Sachen können Sie hier abstellen.« Feely deutete auf den Regency-Tisch am Fenster. »Sie haben bestimmt einen schrecklich anstrengenden Beruf. Immerzu Schusswaffen, Verbrecher und Nagelschuhe.«
Sergeant Graves verfügte über genügend Geistesgegenwart, sie nicht zu schlagen. Genau genommen schien ihm das alles sogar prächtig zu gefallen.
»Ja, als Polizist hat man’s nicht leicht, Miss Ophelia«, sagte er, »jedenfalls meistens nicht.«
Sein Grübchenlächeln war ein deutliches Indiz dafür, dass er seine Arbeit in diesem Moment als reines Vergnügen empfand.
»Ich klingle dann mal nach Mrs Mullet«, erwiderte Feely und zog an der Samtkordel neben dem Kamin, die wahrscheinlich seit der Zeit, in der George III. dem Wahnsinn verfallen war, niemand mehr benutzt hatte. Mrs M würde glatt eine Nierenkolik
bekommen, wenn plötzlich in der Küche eine Glocke über ihrem Kopf losbimmelte.
»Was ist mit meinen Fingerabdrücken?«, erkundigte ich mich. »Inspektor Hewitt ist doch bestimmt ganz wild drauf, mich in seine Verbrecherkartei einzureihen. Also los!«
Feely lachte glockenhell. »Nehmen Sie es meiner kleinen Schwester nicht übel, Sergeant. Die Arme ist leider nicht sehr gut erzogen.«
Nicht gut erzogen? Beinahe hätte ich laut gelacht! Was der Sergeant wohl sagen würde, wenn ich ihn über die Inquisition im Keller von Buckshaw aufklären würde? Wenn ich ihm schildern würde, wie mich meine lieben Schwestern in einen muffigen Kartoffelsack gesteckt und auf den Boden geknallt hatten?
»Ich verstehe deine Ungeduld«, sagte der Sergeant gutmütig und klappte sein Köfferchen auf. »Du willst bestimmt einen Blick auf die Chemikalien werfen.« Er zwinkerte mir zu.
Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre er auf der Stelle heiliggesprochen worden: Sankt Detective Sergeant Graves. Mir fiel auf, dass ich nicht mal seinen Vornamen kannte, aber jetzt war nicht der rechte Augenblick, ihn danach zu fragen.
Er hielt eine Glasflasche in die Höhe. »Das hier ist Fingerabdruckpulver. «
»Auf Quecksilberbasis, oder? So fein zermahlen, dass die Kringel und Spiralen möglichst präzise abgebildet werden?«
Das hatte ich bei Philip Odell, dem Radiodetektiv, gehört, und wegen der Verbindung zur Chemie hatte es sich besonders gut in meinem Gedächtnis festgesetzt.
Der Sergeant schmunzelte und hob die zweite Flasche hoch. Der Inhalt war dunkler als das Pulver in der ersten Flasche.
»Mal sehen, ob du errätst, was hier drin ist.«
Raten?, dachte ich. Ach, du Ahnungsloser!
»Ein Pulver auf Graphitbasis. Gröber als das Quecksilber, aber auf bestimmten Oberflächen besser sichtbar.«
»Einwandfrei!«, lobte mich der Sergeant.
Ich wandte mich ab, als müsste ich mir etwas aus dem Auge wischen und streckte Feely die Zunge raus.
»Aber Ihre Pulver sind doch zur Spurensicherung gedacht. Damit können Sie doch nicht meine Fingerabdrücke nehmen«, wandte ich ein.
»Gut erkannt«, erwiderte der Sergeant. »Ich dachte nur, dass dich unser Handwerkszeug interessiert.«
»Und ob!«, gab ich rasch zurück. »Vielen Dank, dass Sie daran gedacht haben.«
Ich hätte es als unhöflich empfunden zu erwähnen, dass ich oben in meinem Labor genug Quecksilber und Graphit vorrätig hatte, um die Polizeiwache in Hinley bis weit ins nächste Jahrhundert zu versorgen. Abgesehen von seinen
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