Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
legte die Lorgnette erst weg und nahm sie dann wieder hoch.
»Jemand hat mal erwähnt, dass Sie … dass Sie dieser Glaubensrichtung angehören. Ich habe mich mit Miss Mountjoy unterhalten, und sie …«
Das war nicht gelogen. Ich hatte mich tatsächlich mit Miss Mountjoy unterhalten. Solange ich nicht behauptete, sie hätte mir erzählt, Mrs Pettibone sei eine Humplerin, beging ich keine Sünde. Höchstens die Sünde der Unterlassung. Meine Schwester Feely konnte stundenlange Vorträge über den Unterschied zwischen Vorsatz und Unterlassung halten, bis einem ganz schwindlig wurde.
»Tilda Mountjoy … soso«, sagte die Eisfrau nach einer langen Pause. »Erzähl weiter.«
»Ich habe mich mit der Geschichte von Buckshaw beschäftigt, und als ich alte Unterlagen in Vaters Bibliothek durchgesehen habe, bin ich auf ein paar sehr frühe Dokumente gestoßen. «
»Dokumente?«, hakte sie sofort nach. »Was für Dokumente?«
Sie hatte den Köder geschluckt! Was sie dachte, stand ihr so deutlich ins Gesicht geschrieben, als hätte sie es auf die Wangen tätowiert.
Dokumente, die sich auf Nicodemus Flitch und die Humpler beziehen?, dachte sie. Eine wunderbare Gelegenheit, der guten alten Tilda mit ihren sterbenslangweiligen Artikeln im Journal der historischen Gesellschaft der Humpler-Gemeinde eins auszuwischen . ›Ehemalige Bibliothekarin‹ – dass ich nicht lache! Der werd ich’s zeigen, was eine ordentliche Recherche ans Licht bringen kann.
Und so weiter und so fort.
»Ach, dies und das«, sagte ich. »Briefe an einen meiner Vorfahren, Lucius de Luce, wegen diesem und jenem … Lauter Namen und Daten. Nichts Spannendes.«
Das war das Sahnehäubchen, aber ich tat so, als wäre es alles völlig unwichtig.
Die Eisfrau starrte mich durch ihre Lorgnette an wie ein Vogelkundler, der ein seltenes Sumpfhuhn erspäht hat.
Ich rührte mich nicht. Wenn mein Gerede ihre Neugier nicht entflammt hatte, dann wusste ich auch nicht weiter.
Ich spürte, wie mich ihr Blick fast körperlich durchbohrte.
»Du verschweigst mir etwas«, erwiderte sie schließlich. »Sag mir die ganze Wahrheit.«
»Na ja«, plapperte ich, »eigentlich wollte ich mich erkundigen, ob ich zu den Humplern übertreten kann. Wir de Luces sind eigentlich keine Anglikaner, wir sind schon seit Jahrhunderten Katholiken, aber … Feely meinte, die Humpler sind Non…, Non…«
»Nonkonformisten?«
»Genau, sie sind … Nonkonformisten, und ich dachte, weil ich ja selber eine Nonkonformistin bin …«
Darin steckte immerhin ein Körnchen Wahrheit. Einer meiner Helden, Joseph Priestley (einer der Entdecker des Sauerstoffs), war Prediger in einer von den Lehren der Staatskirche abweichenden Sekte in Leeds gewesen, und was für den hochverehrten Joseph gut genug war …
»Es wurde oft diskutiert«, sagte die Eisfrau nachdenklich, »ob wir Nonkonformisten oder Abweichler sind, und nach unserer Neugründung im Jahr 17…«
»Dann sind Sie also eine Humplerin?«
Sie musterte mich forschend, dann antwortete sie: »Manche Menschen möchten die Fundamente, auf die unsere Vorväter gebaut haben, bewahren und setzen sich für ihren Erhalt ein. In der heutigen Zeit ist das nicht immer ganz leicht, denn …«
»Das ist mir egal. Ich würde alles darum geben, eine Humplerin zu sein.«
Ich sah schon vor mir, wie ich zwischen den Hecken am Rand einer Landstraße hin und her torkelte, die Arme ausgebreitet wie eine Hochseilartistin.
»Ich bin eine Humplerin!«, würde ich jedem zurufen.
Als der Förster in den Wald humpelte …
»Aha«, hörte ich die Eisfrau sagen. »Weiß dein Vater von deinen Plänen?«
» O nein! «, rief ich entsetzt. »Bitte sagen Sie ihm nichts davon! Vater hat sehr konservative Ansichten und …«
»Verstehe. Dann soll es unser kleines Geheimnis bleiben. Außer dir und mir wird niemand etwas davon erfahren.«
Simsalabim!
»Vielen, vielen Dank«, hauchte ich. »Ich wusste, dass Sie Verständnis haben würden.«
Während sich die Eisfrau in Ausführungen über die Toleranzakte, den Fünf-Meilen-Erlass, die Gräfin von Huntingdon und das Netzwerk der Calvinisten erging, schaute ich mich noch einmal ausführlicher um.
Viel gab es nicht zu sehen. Das Bett erinnerte mich an das Große Bett von Ware im Victoria and Albert Museum . Hinten am Fenster stand ein kleiner Tisch mit einer elektrischen Kochplatte und einem Wasserkessel, einer Brown-Betty-Teekanne, einer Keksdose und einer Tasse mit Untertasse. Offenbar frühstückte Reginald
Weitere Kostenlose Bücher