Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
Pettibone nicht in Gesellschaft seiner Frau.
»Möchtest du einen Keks?«, fragte die Eisfrau.
»Nein danke«, antwortete ich. »Ich esse keine Süßigkeiten.«
Das war nun wirklich gelogen. Aber es war eine erstklassige Lüge.
»Du bist ein ungewöhnliches Kind«, sagte sie. »Aber sei doch so lieb, und hol mir einen Keks. Ich habe keine Skrupel in Bezug auf Süßes.«
Ich ging zum Fenster, und mein Blick fiel nach draußen – auf das umzäunte Gelände am Hinterausgang des Ladens.
Dort parkte ein rostiger grüner Lieferwagen mit offener Heckflügeltür, den ich sofort wiedererkannte. Derselbe Laster hatte vor der Weidenvilla gestanden.
Ein kräftiger Mann in Hemdsärmeln ging vom Haus zum Wagen. Es war der Schrank auf Beinen, der mich um ein Haar in der Remise erwischt hätte!
Wenn ich nicht ganz danebenlag, handelte es sich um Edward Sampson aus der Rye Road in East Finching – so hatte
es auf den Autopapieren im Handschuhfach des Lasters gestanden.
Der Mann zerrte zwei schwere Gegenstände aus dem Lastwagen, dann drehte er sich um und schaute zu dem Fenster hoch, an dem ich stand. Vielleicht hatte er meinen Blick gespürt.
Ich wollte zurückweichen, aber es ging nicht. Mein Unterbewusstsein hatte es längst zur Kenntnis genommen, und jetzt verwandelte sich die Wahrnehmung langsam in konkretes Begreifen.
Der Muskelmann trug Harriets Kaminböcke ins Haus – Sally Fuchs und Shoppo!
18
W as hast du denn?«, fragte die Eisfrau. Ihre Stimme kam wie aus weiter Ferne.
»Da … da …«
»Ja, Kindchen?«
Die Anrede »Kindchen« weckte mich aus meiner Erstarrung. »Kindchen« hatte ich ungefähr so gern wie eine Kugel in den Kopf. Für Leute, die mich so nennen, hab ich Stehplätze in der Hölle reservieren lassen.
Aber ich biss mir auf die Zunge.
»Die Aussicht aus Ihrem Fenster hat mir die Sprache verschlagen«, sagte ich. »Man sieht den Fluss, die Malplaquet-Farm und bis hinüber nach East Finching. Wenn man von der Hauptstraße kommt, würde man nie denken, dass so ein…«
Ein donnerndes Krachen ließ die Balken erbeben. Unten im Laden war jemandem etwas Schweres heruntergefallen. Dumpfe Flüche drangen zu uns herauf.
»Reginald!«, rief die Eisfrau, und unten wurde es schlagartig still.
»Männer!«, sagte sie laut genug, dass man sie auch unten hörte. »Männer sind schreckliche Trampel.«
»Ich muss jetzt leider gehen«, sagte ich. »Ich werde zu Hause erwartet.«
»Dann lauf nur, Kindchen. Und ich freue mich, wenn du mir die alten Briefe aus eurer Bibliothek mal vorbeibringst.«
Ich sprach nicht aus, was ich dachte, sondern vollführte einen übertriebenen Knicks und ging zur Treppe.
Unten spähte ich in den hinteren Teil des Ladens. Reginald Pettibone und der Lastwagenfahrer drehten sich nach mir um. Sie sagten nichts, aber meine weibliche Intuition verriet mir, dass sie über mich geredet hatten.
Ich kehrte ihnen den Rücken zu und ging zur Ladentür. Nur einmal blieb ich stehen und malte meine Initialen in den Staub auf einer Ebenholzanrichte. Ich fürchtete mich nicht direkt vor den beiden, aber ich konnte nachvollziehen, wie sich ein Dompteur fühlt, wenn er einem Paar neuer Tiger zum ersten Mal den Rücken zukehrt.
Gladys freute sich auf ihre wortlose Art, mich wiederzusehen. Ich hatte sie gegenüber von Pettibones Laden an einem Baum abgestellt.
»Die Sache stinkt zum Himmel«, raunte ich ihr zu, »das spür ich in meinen alten Knochen.«
Zu Hause musste ich sofort im Salon nachschauen.
Als ich durch das Mulford-Tor und die Kastanienallee radelte, warfen die Bäume schon lange Spätnachmittagsschatten. Bald musste ich zum Abendessen erscheinen, was mir gar nicht in den Kram passte.
Als ich durch die Küchentür trat, perlte mir eine Schubertsonate entgegen.
Hurra! Meine psychologische Tretmine hatte gezündet. Feely spielte immer Schubert, wenn sie sich aufregte, und die B-Dur-Sonate spielte sie, wenn sie besonders aufgewühlt war.
Ich konnte Feelys Gedanken lesen, während die Töne dem Klavier entflohen wie Vögel einem brennenden Wald. Erst beherrscht brodelnder Zorn mit grummelnden Donnerklängen (herrlich!), dann brach das Gewitter los, und Feelys temperamentvolle Fingerfertigkeit ließ mich wie jedes Mal bewundernd den Atem anhalten.
Ich schlich näher und lauschte ihrem Gefühlsausbruch. Das war fast noch besser, als in ihrem Tagebuch zu lesen.
Aber ich musste aufpassen, damit sie mich vor dem Abendessen nicht zu fassen bekam, denn erst dann konnte mir
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