Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
Bewegung. Pettibone stemmte sich mit der Schulter dagegen und schob das Möbel von der Wand weg.
»Au!«, kreischte ich. »Sie zerquetschen mich!«
Der Schrank blieb stehen, und ich hörte Pettibone schnaufen.
»Reginald!«, rief eine schneidende Frauenstimme. Pettibone brummelte etwas Unverständliches.
»Reginald, komm sofort hoch! Hast du mich gehört?«
»Hallo da oben!«, rief ich. »Hier ist Flavia de Luce.«
Es war kurz still, dann: »Komm hoch, Flavia. Reginald, bring mir die Kleine her.«
Das sagte sie in einem Ton, wie man einem Hund »Fass!« befiehlt.
Ich verließ meine enge Zuflucht, rieb mir die Ellenbogen und warf Pettibone einen vorwurfsvollen Blick zu.
Sein Blick huschte zu einer schmalen Treppe, und ich stapfte entschlossen darauf zu.
Ich hätte auch zur Tür laufen können, aber ich wollte diese womöglich letzte Gelegenheit nutzen, den Laden auszukundschaften. Wer A sagt, muss auch B sagen, wie Mrs Mullet gern sagte.
Langsam stieg ich nach oben. Was mich dort wohl erwartete?
Ich staunte nicht schlecht. Statt in einem Hasenstall mit vielen kleinen Verschlägen stand ich in einem riesigen Raum. Man hatte die Zwischenwände entfernt. Weshalb das Dachbodenzimmer genauso groß wie der Laden darunter war.
Aber was für ein Gegensatz zu dem muffigen Geschäftsraum!
Hier oben stand kein Gerümpel herum. Bis auf ein einziges Möbel war das große Zimmer leer.
In seiner Mitte stand ein großes rechteckiges Bett mit weißem Bettzeug, und in den Kissen lag halb aufgerichtet eine Frau, deren Züge aussahen wie aus einem Eisblock geschnitzt. Gesicht und Hände hatten eine leicht bläuliche – oder zyanotische – Färbung, was auf den ersten Blick den Verdacht nahelegte, die Frau leide an einer Kohlenmonoxid- oder Silbervergiftung, aber als ich noch einmal hinsah, erkannte ich, dass nicht Gift, sondern Schminke für ihren unnatürlichen Teint verantwortlich war.
Ihre Haut war bläulich weiß wie entrahmte Milch. Die Lippen waren knallrot wie die ihres Mannes (ich ging davon aus, dass das Papageienmännchen ihr Gatte war), und ihr Haar kringelte sich in silbrigen Löckchen, als wäre sie ein übrig gebliebener Star aus der Stummfilmzeit.
Nun richtete ich meine Aufmerksamkeit auf das Bett. Es war ein Himmelbett aus Ebenholz. Die kunstvoll geschnitzten Pfosten stellten Engel dar, die so kerzengerade dastanden wie die Wachsoldaten vor dem Buckingham-Palast.
Anscheinend hatte man wie bei der Prinzessin auf der Erbse mehrere Matratzen übereinandergestapelt. Neben dem Bett stand ein Treppchen, das zu dem Matratzenberg emporführte wie eine Leiter auf einen Heuboden.
Die Eisgestalt in den Kissen hob eine Lorgnette an die Augen und musterte mich kühl.
»Flavia de Luce? Bist du eine von Colonel de Luces Töchtern? «
Ich nickte.
»Deine Schwester Ophelia hat auf einem Musikabend der Landfrauen gespielt. Sie ist sehr begabt.«
Ich hätte es mir denken können! Der gestrandete Eisberg war eine Freundin von Feely!
Unter anderen Umständen hätte ich bestimmt etwas Ungezogenes
erwidert und wäre davonstolziert, aber ich besann mich eines Besseren. Wenn man in einem Mordfall ermittelt, muss man bereit sein, gelegentlich große persönliche Opfer zu bringen.
Dabei stimmte es sogar. Feely spielte hervorragend Klavier, aber darauf musste man ja nicht herumreiten.
»Ja«, sagte ich, »sie spielt ganz gut.«
Erst jetzt fiel mir auf, dass Reginald auf der Treppe stand.
»Geh ruhig, Reginald«, sagte die Eisfrau, und Reginald machte wie ein Schlafwandler kehrt und begab sich wieder nach unten in den Laden.
»Was willst du hier? Sprich!«
»Ich muss mich bei Ihnen und Mr Pettibone entschuldigen«, sagte ich. »Ich habe Ihren Mann angeschwindelt.«
»Inwiefern?«
»Ich habe behauptet, ich wollte einen Tisch für Vater kaufen. In Wirklichkeit wollte ich mit Ihnen über die Humpler sprechen.«
»Über die Humpler?« Sie lachte künstlich. »Wie kommst du denn auf die Idee, dass ich etwas über die Humpler weiß? Die gibt’s doch seit den Tagen der Puderperücken nicht mehr.«
Ich spürte trotzdem, dass meine Frage sie kalt erwischt hatte. Vielleicht konnte ich mir den Überraschungseffekt zunutze machen.
»Ich weiß, dass die Humpler im 17. Jahrhundert von Nicodemus Flitch gegründet wurden, und dass das Gehölz auf Buckshaw in ihrer Geschichte eine wichtige Rolle spielt, von wegen Taufen und so weiter.«
Ich machte eine Kunstpause und beobachtete die Frau.
»Und was hat das mit mir zu tun?« Sie
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