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Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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ein Zauberland verwandelt hatte, dessen nächtliche Schatten vom schmalen Streifen des Tages jenseits der Mauern noch vertieft wurden. Über allem lag funkelnder Tau, und es hätte mich nicht im Geringsten gewundert, wenn hinter einem Rosenstrauch ein Einhorn hervorgetreten wäre und mir den Kopf in den Schoß gelegt hätte.
    Dicht vor der Schubkarre stolperte ich und plumpste auf Hände und Knie.
    »Scheiße!«, fluchte ich und sah mich sofort um, ob mich womöglich jemand gehört hatte. Ich war mit feuchtem schwarzem Lehm verschmiert.
    »Scheiße!«, wiederholte ich etwas gedämpfter.
    Als ich mich umdrehte, um nachzuschauen, was mich da zu Fall gebracht hatte, fiel mein Blick sogleich auf etwas Weißes, das aus dem Gurkenbeet ragte. Ganz kurz gestattete ich mir die verzweifelte Hoffnung, es möge sich vielleicht um einen kleinen weißen, dreisten Rechen handeln.
    Letztendlich siegte jedoch die Vernunft, und ich musste mir
eingestehen, dass es eine Hand war. Eine Hand an einem Arm; an einem Arm, der sich tiefer ins Gurkenbeet hineinschlängelte.
    Und dort, am Ende des Armes, von den zart leuchtenden Blättern in ein scheußliches, taufeuchtes Gurkengrün getaucht, war ein Gesicht - und es glich aufs Haar der Fratze des Grünen Mannes aus unseren Sagen und Legenden.
    Einem Drang gehorchend, der starker als mein Wille war, ließ ich mich auf alle viere neben meiner Entdeckung nieder: teils aus Ehrfurcht, teils, weil ich das Gesicht näher betrachten wollte.
    Als ich wir schon beinahe mit den Nasen zusammenstießen, klappten die Augenlider mit einem Mal auf.
    Ich bekam einen solchen Schreck, dass ich mich nicht rühren konnte.
    Der Liegende holte röchelnd Luft … und hauchte dann, mit Blubberbläschen vor den Nasenlöchern, ein einziges Wort, bedächtig und ein wenig traurig, mir mitten ins Gesicht:
    » Vale «, sagte er.
    Ich rümpfte unwillkürlich die Nase, als ich den Anflug eines ganz bestimmten Geruchs wahrnahm - ein Geruch, dessen Bezeichnung mir, wenn auch nur einen Augenblick lang, auf der Zunge lag.
    Die Augen, blau wie die Vögel auf unserem chinesischen Porzellan, schauten zu mir auf, als käme ihr Blick aus einer unbestimmten, fernen Vergangenheit - und als läge ganz tief in ihnen so etwas wie eine Erkenntnis.
    Dann brachen sie.
    Ich würde gerne behaupten, dass ich tief ergriffen war, aber das wäre gelogen. Ich würde gern behaupten, dass mir mein siebter Sinn befahl, schleunigst die Flucht zu ergreifen, aber auch das würde nicht der Wahrheit entsprechen. Stattdessen sah ich fasziniert hin und prägte mir alles ganz genau ein: die krampfartig zuckenden Finger, die kaum erkennbare bronzefarbene,
metallische Tönung der Haut, als würde sie vor meinen Augen vom Hauch des Todes gestreift.
    Und dann diese absolute Stille.
    Ich würde gerne behaupten, dass ich mich gefürchtet hätte, aber das stimmt nicht. Ganz im Gegenteil. Es war das mit Abstand Spannendste, was ich je erlebt hatte.

3
    I ch rannte die Westtreppe hoch. Mein erster Gedanke war, Vater zu wecken, aber eine Art unsichtbarer Riesenmagnet hielt mich zurück. Daffy und Feely brauchte ich gar nicht erst zu holen; auf sie war in Notfällen sowieso kein Verlass. Darum huschte ich möglichst geräuschlos in den hinteren Trakt und klopfte leise an die Tür des kleinen Zimmers am oberen Ende der Küchentreppe.
    »Dogger!«, raunte ich. »Ich bin’s, Flavia.«
    Von drinnen war nichts zu hören, darum klopfte ich noch mal.
    Nach schätzungsweise zweieinhalb Ewigkeiten hörte ich Doggers Pantoffeln schlurfen. Das Türschloss klickte und knirschte, dann wurde die Tür argwöhnisch ein paar Zentimeter geöffnet. Im fahlen Morgenlicht sah Doggers eingefallenes Gesicht aus, als hätte er die ganze Nacht kein Auge zugetan.
    »Unten im Garten liegt eine Leiche«, verkündete ich. »Ich glaub, es ist besser, wenn du mal mitkommst.«
    Während ich von einem Fuß auf den anderen trat und an den Fingernägeln kaute, warf mir Dogger einen Blick zu, den man nur vorwurfsvoll nennen konnte; dann verschwand er im dunklen Zimmer, um sich etwas überzuziehen. Fünf Minuten später standen wir nebeneinander auf dem Gartenweg.
    Man merkte, dass Dogger schon mehr als eine Leiche gesehen hatte. Er kniete sich hin und tastete mit Zeige- und Mittelfinger
zwischen Hals und Unterkiefer nach dem Puls, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan. Seiner ausdruckslosen, geistesabwesenden Miene konnte ich entnehmen, dass er nichts spürte.
    Er stand schwerfällig auf und

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