Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
Bonepennys Spritze! Er hielt sie vor mich, damit ich sie genau betrachten konnte.
»Die hast du doch gesucht, oder? Im Gasthaus und in eurem Garten! Dabei ist sie die ganze Zeit hier in meiner Jacke gewesen!«
Er lachte schnaubend wie ein Schwein durch die Nase und setzte sich auf die Treppe. Dort klemmte er sich die Taschenlampe zwischen die Knie, hielt die Spritze senkrecht nach oben und kramte wieder in seiner Jacke herum, bis er eine kleine braune Flasche herauszog. Ich hatte kaum Zeit, das Etikett zu lesen, da nahm er schon den Verschluss ab und befüllte rasch die Spritze damit.
»Ich denke mal, du weißt, was das hier ist, Fräulein Schlaumeier?«
Unsere Blicke begegneten sich, aber ich ließ nicht erkennen, ob ich ihn gehört hatte.
»Und denk ja nicht, dass ich nicht genau weiß, wie und wohin man das hier injiziert. Schließlich habe ich nicht umsonst so viele Stunden im Sezierraum in London zugebracht. Nachdem ich den alten Bony bewusstlos geschlagen hatte, war die eigentliche Injektion beinahe lächerlich einfach: ein bisschen schräg halten beim Einstechen, dann durch splenius capitus und semispinalis capitis, das Band zwischen Atlas und Axis punktieren und dann die Nadel über den Wirbelbogen schieben. Und - zack! - schon gehen die Lichter aus! Fast sofort
tödlich. Der Tetrachlorkohlenstoff verfliegt im Nu fast spurlos. Das perfekte Verbrechen, falls ich das selbst mal so behaupten darf.«
Genau wie ich gefolgert hatte! Ich wusste genau, wie er es getan hatte! Der Mann war komplett verrückt.
»Jetzt hör zu«, sagte er. »Ich nehme dir das Taschentuch aus dem Mund, und du sagst mir, was du mit den Rächern von Ulster gemacht hast. Ein falsches Wort … eine falsche Bewegung, und …«
Er hielt mir die Spritze fast bis an die Nase und drückte leicht auf den Kolben. Ein paar Tropfen Tetrachlorkohlenstoff zeigten sich einen Moment lang wie Tau auf der Nadelspitze und tropften dann auf den Boden. Meine Nase nahm den vertrauten Duft sofort wahr.
Pemberton legte die Taschenlampe auf die Treppe und richtete ihren Strahl so aus, dass sie mir ins Gesicht leuchtete. Die Spritze legte er daneben.
»Mund auf«, sagte er.
Dabei schoss mir Folgendes durch den Kopf: Er würde mir Daumen und Zeigefinger in den Mund stecken, um das Taschentuch herauszuholen. Ich würde zubeißen, so fest ich konnte, und sie ihm einfach abbeißen!
Aber was dann? Ich war immer noch an Händen und Fü ßen gefesselt, und selbst wenn ich ihn schlimm erwischte, war Pemberton immer noch in der Lage, mich ganz einfach umzubringen.
Ich öffnete meine schmerzenden Kiefer ein bisschen.
»Weiter auf«, sagte er und wartete noch. Dann stießen seine Finger blitzschnell vor und zogen mir das durchtränkte Taschentuch aus dem Mund. Einen Moment befand sich der Schatten seiner Hand vor dem Licht der Taschenlampe, sodass er das, was ich sah, nicht sehen konnte: ein kurzes orangefarbenes Aufblitzen, als das nasse Knäuel in der Dunkelheit auf den Boden fiel.
»Danke«, flüsterte ich heiser und machte meinen ersten Zug in dieser zweiten Partie unseres Spiels.
Pemberton wirkte verblüfft.
»Jemand muss sie gefunden haben«, krächzte ich. »Die Briefmarken, meine ich. Ich habe sie in der Uhr versteckt, ich schwöre es.«
Ich wusste sofort, dass ich zu weit gegangen war. Aber wenn ich die Wahrheit sagen würde, hätte Pemberton keinen Grund mehr gehabt, mich am Leben zu lassen. Ich war die Einzige, die wusste, dass er der Mörder war.
»Es sei denn …«, fügte ich eilig hinzu.
»Es sei denn was? Was? «
Er stürzte sich auf die Worte wie ein Schakal auf eine verwundete Antilope.
»Meine Füße«, jammerte ich. »Es tut so weh. Ich kann nicht … machen Sie es doch bitte lockerer … wenigstens ein bisschen lockerer.«
»Na schön«, sagte er erstaunlicherweise sofort. »Aber deine Hände bleiben gefesselt. Damit kommst du auch nicht weit.«
Ich nickte eifrig.
Pemberton ging in die Knie und löste seine Gürtelschnalle. Als der Lederriemen von meinen Knöcheln fiel, nahm ich all meine Kraft zusammen und trat ihm in die Zähne.
Sein Kopf flog nach hinten und knallte gegen den Beton, und ich hörte etwas Gläsernes auf den Boden fallen und in die Ecke rollen. Pemberton rutschte langsam an der Wand herunter, bis er saß, während ich auf die Treppe zuhumpelte.
Dann ging ich hinauf … eine Stufe … zwei … meine schwerfälligen Füße traten gegen die Taschenlampe, die kreiselnd auf den Grubenboden fiel, wo sie liegen blieb
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