Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
Küchentür, wo ich Gladys absichtlich
geräuschvoll auf die Treppe fallen ließ. (»Nimm’s mir nicht übel, Gladys!«, flüsterte ich.)
»Verdammter Mist!«, rief ich so laut, dass man mich auch im Gewächshaus hören konnte. Dann tat ich überrascht.
»Ach, Dogger!«, sagte ich munter. »Dich hab ich gerade gesucht.«
Er drehte sich nicht gleich um, und ich tat so, als kratzte ich mir den Lehm von der Schuhsohle, bis er sich einigermaßen gefangen hatte.
»Miss Flavia«, sagte er bedächtig. »Du wirst schon überall gesucht.«
»Tja, jetzt bin ich ja hier!« Am besten, ich übernahm die Unterhaltung, bis Dogger wieder in der Spur war.
»Ich habe mich im Dorf mit jemandem unterhalten, der mir von jemandem erzählt hat, über den du mir wahrscheinlich mehr erzählen kannst.«
Dogger lächelte gezwungen.
»Ich weiß, das klingt ein bisschen konfus, aber …«
»Ich weiß schon, was du meinst«, sagte er.
»Horace Bonepenny«, platzte ich heraus. »Wer ist Horace Bonepenny?«
Dogger bekam auf einmal Zuckungen wie ein Frosch im Versuchslabor, dessen Rückenmark mit einer galvanischen Batterie verbunden ist. Er leckte sich über die Lippen und wischte sich hektisch mit dem Taschentuch die Mundwinkel. Seine Augen wurden matt wie die Sterne kurz vor Sonnenaufgang, aber er gab sich große Mühe, sich zusammenzureißen, wenn auch mit mäßigem Erfolg.
»Ist ja gut, Dogger«, sagte ich beschwichtigend. »Ist nicht so wichtig.«
Er wollte von seinem Eimer aufstehen, aber es gelang ihm nicht.
»Weißt du, Miss Flavia«, sagte er, »es gibt Fragen, die muss man stellen, und andere, die behält man lieber für sich.«
Doggers magische Formel, und er sprach sie so selbstverständlich und unwiderruflich aus, als stammte sie vom Propheten Jesaja persönlich.
Aber mit dem einen kurzen Satz hatte er sich offenbar völlig verausgabt, denn er schlug tief seufzend die Hände vors Gesicht. Da hätte ich ihn am liebsten in den Arm genommen, aber ich ahnte, dass er das nicht gewollt hätte. Darum legte ich ihm nur die Hand auf die Schulter, spürte allerdings, dass diese Geste mir selbst mehr Trost spendete als ihm.
»Ich hole Vater«, sagte ich. »Wir bringen dich auf dein Zimmer.«
Dogger wandte mir langsam das Gesicht zu, die kreideweiße Maske der Tragödie. Seine Stimme war ganz heiser und kratzig, wie Stein, der auf Stein kratzte.
»Den haben sie mitgenommen, Miss Flavia. Die Polizei hat ihn mitgenommen.«
12
F eely und Daffy saßen auf dem geblümten Diwan im Salon, hielten einander umschlungen und heulten wie die Luftschutzsirenen. Kaum hatte ich zwei Schritte ins Zimmer getan, um mich zu ihnen zu setzen, erblickte mich Ophelia.
»Wo warst du denn, du kleines Biest?«, fauchte sie, sprang auf und ging wie eine Wildkatze auf mich los. Ihre Augen waren dick verschwollen und rot wie Fahrradreflektoren. »Alle haben nach dir gesucht! Wir dachten schon, du seist ertrunken! Aber nein - wieder nichts!«
Schön, dass du wieder da bist, Flave, dachte ich im Stillen.
»Vater ist festgenommen worden«, sagte Daffy sachlich. »Sie haben ihn mitgenommen.«
»Wo haben sie ihn hingebracht?«, fragte ich.
»Woher sollen wir das wissen?«, fuhr mich Ophelia verächtlich an. »Wahrscheinlich dorthin, wo alle Verhafteten hinkommen. Wo warst du denn nun?«
»Meinst du in Bishop’s Lacey oder in Hinley?«
»Was soll der Unsinn? Drück dich gefälligst klar aus, dummes Ding!«
»In Bishop’s Lacey oder in Hinley?«, wiederholte ich unbeirrt. »In Bishop’s Lacey gibt es nur eine kleine Wache, darum nehme ich nicht an, dass sie ihn dorthin gebracht haben. Das Polizeirevier für unsere Grafschaft befindet sich in Hinley. Darum wird er vermutlich dort sein.«
»Er wird des Mordes beschuldigt«, sagte Ophelia. »Dafür wird man gehängt!« Sie brach wieder in Tränen aus und wandte
sich ab. Fast tat sie mir leid, aber ich kam gleich wieder zur Vernunft.
Als ich aus dem Salon wieder in die Diele kam, sah ich Dogger die Westtreppe hochgehen, schleppend, Schritt für Schritt, wie ein Verurteilter, der die Stufen zum Schafott hinaufsteigt.
Jetzt oder nie!
Ich wartete ab, bis er außer Sichtweite war, dann stahl ich mich ich in Vaters Arbeitszimmer und schloss hinter mir ab. Ich war noch nie allein in Vaters Zimmer gewesen.
Vaters Briefmarkenalben nahmen eine ganze Wand ein, dicke Lederbände, deren Farben für die Regentschaft der verschiedenen Monarchen standen: Schwarz für Königin Viktoria, Rot für Edward VIII.,
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