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Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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es schien mir nur folgerichtig, dass er, kaum dass er am Freitag sein Zimmer aufgesucht hatte, ein Streichholz daran gehalten hatte.
    Das hätte allerdings Spuren hinterlassen: Asche im Aschenbecher, ein abgebranntes Streichholz im Papierkorb. Ein Blick genügte, denn beide Behältnisse standen direkt vor mir - und waren leer.
    Vielleicht hatte Vater eventuelle Indizien ja ins Klo gespült.
    Als ich das dachte, merkte ich, dass ich mich schon an den letzten Strohhalm klammerte.
    Gib’s auf, dachte ich. Überlass es der Polizei. Geh wieder in dein gemütliches Labor und arbeite weiter an deinem Lebenswerk.
    Ich überlegte - aber nur einen prickelnden Augenblick
lang -, was für tödliche Tinkturen man aus den eingereichten Beiträgen zum Frühlingsblumen-Wettbewerb destillieren könnte. Was für ein großartiges Gift konnte man zum Beispiel aus der Jonquille, welch todbringende Extrakte aus der Osterglocke gewinnen! Sogar die gewöhnliche Friedhofseibe, die bei Dichtern und verliebten Paaren so hoch im Kurs stand, barg in ihren Samen und Blättern genug Toxin, um die halbe Bevölkerung Englands auszulöschen.
    Aber diese Freuden musste ich zurückstellen. Ich stand gegenüber Vater in der Pflicht, und es war nun einmal mir zugefallen, ihm zu helfen, besonders jetzt, da er sich selbst nicht helfen konnte. Eigentlich hätte ich mir Zutritt zu seinem Gefängnis verschaffen müssen, ganz gleich, wo man ihn festhielt, und ihm nach Art des Treueschwurs der mittelalterlichen Knappen mein Schwert zu Füßen legen. Auch wenn ich ihm nicht gleich helfen konnte, sollte er doch wissen, dass ich ihn keineswegs im Stich ließ, und da merkte ich auf einmal, wie schmerzlich er mir fehlte.
    Ich hatte eine Eingebung. Wie viele Meilen waren es bis Hinley? Konnte ich noch vor Einbruch der Dunkelheit dort eintreffen? Würde man mich überhaupt zu ihm lassen?
    Ich bekam derartiges Herzklopfen, als hätte mir jemand eine Tasse Fingerhuttee untergejubelt.
    Zeit aufzubrechen. Ich hatte mich lange genug hier aufgehalten. Ein Blick auf die Nachttischuhr - sie zeigte inzwischen 15.40 Uhr. Auch das Ungetüm auf dem Kamin tickte unbeirrt weiter und stand auf 15.37 Uhr.
    Vater war anscheinend mit den Gedanken woanders gewesen, sonst wäre ihm aufgefallen, dass die Uhren nicht übereinstimmten. Eigentlich duldete er keine Unregelmäßigkeiten, was die Tageszeit betraf. Ich erinnerte mich, wie er Dogger (wenn auch immerhin nicht uns) geradezu militärische Befehle zu erteilen pflegte:
    »Bring dem Vikar diese Gladiolen, Dogger, und zwar Punkt
dreizehn Uhr. Du wirst erwartet. Bis dreizehn Uhr fünfundvierzig bist du aber wieder da, dann machen wir uns an die Entengrütze auf dem Teich.«
    Ich betrachtete die beiden Uhren, in der Hoffnung, dass sie mir einen Hinweis liefern konnten. Als Vater einmal, was selten vorkam, in mitteilsamer Stimmung gewesen war, hatte er uns anvertraut, dass er sich hauptsächlich wegen ihrer Nachdenklichkeit in Harriet verliebt hatte. »Kommt bei Frauen selten vor, wenn ich es mir recht überlege«, hatte er gesagt.
    Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Eine der Uhren war angehalten worden - und zwar genau drei Minuten lang. Das Ungetüm auf dem Kaminsims.
    Ich schob mich auf sie zu, als müsste ich mich an einen Vogel anschleichen. Das dunkle Gehäuse verlieh ihr das trübselige Aussehen einer viktorianischen Leichenkutsche: lauter Messingverzierungen, Glas und schwarzer Schellack.
    Ich beobachtete, wie sich meine Hand, klein und weiß im Dämmerlicht, danach ausstreckte, spürte, wie meine Finger die kalte Oberfläche streiften, wie mein Daumen den silbernen Riegel hochschob. Das schwere Messingpendel schwang dicht vor meinen Fingerkuppen hin und her und gab sein gespenstisches Tick-Tack, Tick-Tack von sich. Beinahe hätte ich mich nicht getraut, es anzufassen. Ich holte tief Luft und griff zu. Die Trägheit ließ das Pendel in meiner Hand beben wie einen gefangenen Goldfisch, wie das verräterische Herz, ehe es endgültig verstummt.
    Ich befühlte die Rückseite. Dort war etwas befestigt … festgeklebt … ein winziges Päckchen. Ich zog daran. Es löste sich und fiel in meine Handfläche. Ich hatte die Hand noch nicht aus dem Innenleben der Uhr gezogen, da wusste ich schon, was sich meinem Blick darbieten würde … und ich irrte mich nicht. Auf meiner flachen Hand lag ein kleiner Pergaminumschlag, in dem gut sichtbar eine Penny-Black-Briefmarke steckte. Eine Penny Black mit einem Loch in der Mitte, wie es der

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